Ludwigshafen Verrückt, normal, egal
Geschrieben hat Hermann Hesse den „Steppenwolf“ 1927, aber richtig populär wurde der Roman erst ein halbes Jahrhundert später. Amerikanische Hippies und deutsche Studenten mochten das Buch. Sogar eine Rockband gab sich seinen Namen. Heute ist „Der Steppenwolf“ Schullektüre und Abiturthema, weshalb auch Theater den Stoff gerne auf die Bühne bringen. Am Mannheimer Nationaltheater erledigt das Dominik Günther. Heute Abend ist Premiere.
Der 46-jährige Regisseur hat Hesses Buch Ende der 1980er-Jahre gelesen, da war er am Bonner Beethoven-Gymnasium Schülersprecher und Partyorganisator. Auch ein „Festival verrückter Kunst“ hatte er schon auf die Beine gestellt. „Was ist normal? Bin ich normal? Solche Fragen wurden in dem Buch gestellt, und das hat mich interessiert“, erinnert sich Günther. Sehr politisch sei die Zeit damals gewesen, die Friedensbewegung war stark, im Bonner Hofgarten wurde gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. Hesse hat ihn seither nicht mehr losgelassen, auch als Regisseur nicht. Am Landestheater in Tübingen hat er vor ein paar Jahren eine Bühnenfassung von „Demian“ inszeniert. Als nun am Mannheimer Nationaltheater „Der Steppenwolf“ auf den Spielplan sollte, da kam man ziemlich schnell auf Dominik Günther, und der war natürlich begeistert. „Das ist sicher der schwierigste Text Hesses, aber auch der spannendste“, findet er. Die Inszenierung läuft zwar als normale Produktion im Studio Werkhaus, zielt aber schon auf Schüler, die sich mit dem Roman beschäftigen müssen. Das Stück wird Ende Februar auch im Zentrum der „Schule der praktischen Weisheit“ stehen, einer Themenwoche für Abiturienten. Was bietet also Hesses Roman für die junge Generation von heute, diese sonderbare Geschichte des Außenseiters Harry Haller, einem „Mann von annähernd 50 Jahren“, der sich in einem sehr bürgerlichen Haus eine Mansardenwohnung mietet, spät aufsteht, viel liest, klassische Musik mag, mit Opiaten experimentiert und in einem magischen Theater landet, zu dem nur Verrückte Zugang erhalten? „Da ist natürlich die Frage nach der Norm einer Gesellschaft“, sagt Günther, „wer funktioniert, wer eckt an?“ Harry Haller sei einer, der mit den Anforderungen der Gesellschaft überhaupt nicht zurechtkommt, den die gängigen Konventionen abstoßen und der sich deshalb immer mehr isoliert und sich in seine ganz eigene Welt der Gedanken und Fantasien zurückzieht. Um in diese Welt einzudringen, haben sich Günther und seine Bühnenbildnerin Sandra Fox ein riesiges Gehirn als Spielort ausgedacht. Vier männliche Darsteller in Overalls sind dort unterwegs, übernehmen nicht nur die Rollen von Harry Haller und anderen Romanfiguren, sondern sind auch Großhirn, Kleinhirn und Zwischenhirn. Für den Regisseur ist dieses Buch ein einziger innerer Monolog des einsamen Helden: „Wir erzählen den Inhalt des Romans chronologisch, es wird aber keine Mansarde geben und keinen Ballsaal“, sagt er, „sondern stattdessen einen 90-minütigen Gehirntrip.“ Zu den Darstellern gehört auch Samuel Koch, der nach einem Unfall in der TV-Show „Wetten, dass…?“ gelähmte Schauspieler, der seit dieser Spielzeit zum Mannheimer Ensemble gehört. Im Gegensatz zu den anderen wird er nicht durch die Gänge des Bühnengehirns kriechen und klettern, sondern unbeweglich in dem für die Motorik zuständigen Kleinhirn verharren. Wichtig für die Inszenierung ist auch die Musik, um die sich Leo Schmidthals kümmert. Den kennt man vor allem als Bassist der deutschen Band Selig, daneben schreibt er aber auch Filmmusiken und arbeitet fürs Theater. Für den „Steppenwolf“ wird er mit viel Elektronik einen Soundtrack schaffen, der die Zeitspanne von den 1920er-Jahren, in denen der Roman spielt, bis in die Gegenwart abdeckt. Nach Studium der Sozial- und Theaterwissenschaften in Bielefeld hat Dominik Günther gleichermaßen im Theater für Jugendliche wie für Erwachsene gearbeitet, will zwischen diesen beiden Bereichen auch gar nicht so sehr unterscheiden. Klassiker von Molière und Büchner hat er genauso inszeniert wie Gegenwartsstücke. Daneben gab es immer wieder ausgefallene Projekte, etwa eine Wrestling-Oper, bei der Mitglieder des Wrestling-Vereins St. Pauli auf Sänger der Hamburger Staatsoper trafen. In Österreich hat er mit einer Hip-Hop-Band ein Stück entwickelt und in Vietnam im Auftrag des Goethe-Instituts mit einheimischen Schauspielern erstmals Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ aufgeführt. „Auch wer Hesses Roman nicht kennt, soll einen spektakulären Abend erleben“, sagt Günther über seine Mannheimer Inszenierung. „Und wer das Buch kennt und vielleicht noch etwas über Hirnforschung weiß, der wird besonders viel davon haben.“ Termin Premiere ist heute um 20 Uhr im Studio Werkhaus des Mannheimer Nationaltheaters. Alle Termine im Januar und Februar sind bereits ausverkauft.