Ludwigshafen Sekt statt Sparwasser

Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich kann mein bisheriges, bald 45 Jahre andauerndes Dasein problemlos in Fußball-Zeitzonen einteilen: die vor, zwischen und nach einer WM. Und da die Weltmeisterschaft in Brasilien naht, kommen zwangsläufig Erinnerungen hoch an legendäre Turniere und prägende Erlebnisse. Wie im Jahr 1974 – der Sieg im eigenen Land dank des Bombers der Nation, kleines dickes Müller. Kleines molliges Gierescher spielte damals in der E-Jugend, mehr oder weniger talentiert, aber mit großer Leidenschaft und emotional durchaus anfällig für Niederlagen. Tränen flossen auch an jenem 22. Juni, fünf Tage nach meinem fünften Geburtstag, als ich auf dem Schoß meines Opas mit ansehen musste, wie ein gewisser Jürgen Sparwasser in Hamburg vorbei an Sepp Maier das 1:0 für die DDR-Auswahl erzielte. Zum Glück blieb es die einzige Pleite, am Ende ging ja doch alles gut. Nicht so 1978. Udo Jürgens schnulzte zwar bedeutungsschwanger „Buenos Dias Argentina“ ins Mikro, aber eindrücklich in Erinnerung geblieben sind zwei andere Österreicher: Hans Krankl und Edi Finger: Ersterer vernaschte „unsere“ Abwehr nach Belieben bei der 2:3-Schmach von Cordoba. Und versetzte Zweiteren ins Ekstase: „I wer narrisch!“ Krankl war Kult, Finger eine Reporterlegende – und der Titelverteidiger bis auf die Knochen blamiert. Das tut noch bis heute weh. Wehgetan hat „uns“ vier Jahre später – immerhin erst im Finale – ein anderer: Paolo Rossi. Als Skandalnudel der Italiener lange geschmäht, traf er in der Finalrunde dreimal gegen Brasilien, im Halbfinale zweimal gegen Polen und im Endspiel zur Führung – und die Elf von Häuptling Silberlocke, Jupp Derwall, ins Mark. Zumindest hatten „wir“ zuvor Frankreich nach einer sensationellen Aufholjagd im Elfmeterschießen bezwungen. Nach Klaus Fischers 3:3 in der Verlängerung raste ich – vollgepumpt mit Adrenalin – vom Wohnzimmer meiner Eltern hinunter ins Schlafzimmer meiner Großmutter, knipste das Licht an und riss sie wie von Sinnen aus dem Schlaf. „Oooooooma, ,wir’ sind im Fiiiiinaaaaale.“ Jorge Luis Burruchaga hieß der Strolch mit der Nummer 7, den ich im Jahr 1986 verfluchte. Wieder im Finale, wieder nach einem Erfolg gegen Frankreich – und wieder den Kürzeren gezogen. Diesmal gegen Argentinien. Und dass, obwohl Rotbäckchen und Tante Käthe (Kalle Rummenigge und Rudi Völler) ein 0:2 wettgemacht hatten. Doch dann schickte Maradona diesen Burrudingsda auf die Reise. Aber ich war ja erst 17 und hatte noch Träume. Die erfüllten sich vier Jahre später: Die Mauer war weg, die Mannschaft ein Bollwerk und der Pokal zum dritten Mal unser. Rache ist süß – ich jubelte, Maradona heulte. Holland (unvergessen) und England (noch unvergessener) hatten wir zuvor aus dem Turnier bugsiert. 1990 war definitiv ein gutes Jahr. Hochmotiviert begann ich mein Studium in Heidelberg. Jahre der Leidenszeit folgten: 1994 USA, 1998 Frankreich – Schwamm drüber. Dachte man angesichts der Qualität des Kaders auch 2002, doch irgendwie sind „wir“ nach Yokohama gestolpert. Kahn patzte, Ronaldo traf. 2006 war dann Schluss mit Rumpelfußball, bis Grossos Schlenzer das Sommermärchen beendete. 2010 war Spanien das Nonplusultra – immerhin nach „unsterblichen Siegen“ gegen Briten und Gauchos. Und 2014? Da könnte sich der Kreis 40 Jahre nach meinen ersten WM-Erfahrungen wieder schließen. Ein Müller ist ja auch wieder dabei. Der ist zwar nicht klein und dick, heißt Thomas und nicht Gerd, ist aber ähnlich schlitzohrig wie sein Namensvetter. Am besten, er schießt am 16. Juni gleich Portugal ab. Dann könnte ich ganz gelassen in meinen Fünfundvierzigsten reinfeiern. Wäre wieder eine nette WM-Anekdote mehr. Diesmal mit Sekt statt Sparwasser.

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