Ludwigshafen „Seht her, wir machen etwas!“

Mit Weltverbesserung, ihrem ureigensten Thema, hat sich diesmal die Utopie Station beschäftigt. Für das Jahr 2015 hatten die Vereinten Nationen ehrgeizige Weltverbesserungsziele aufgestellt. Wurden sie erreicht? Was ist aus ihnen geworden? Wenn man den Experten der Diskussionsrunde im Ernst-Bloch-Zentrum folgt: nicht viel.

Im September 2000 haben die Vereinten Nationen auf einer Generalversammlung acht Ziele aufgestellt, die 2015 erreicht werden sollten. Damals lebten über eine Milliarde Menschen in extremer Armut, mehr als 700 Millionen hungerten, über eine Milliarde Menschen hatten kein sauberes Trinkwasser. 189 Staats- und Regierungschefs verpflichteten sich daraufhin auf die UN-Millenniumsziele, um das Leben aller Menschen auf der Erde zu verbessern. Ein Ziel betraf die Halbierung der Zahl der Hungernden. Außerdem wollte man unter anderem die Kindersterblichkeit von zehn auf 3,5 Prozent senken, die Immunschwächekrankheit Aids ausrotten und die Vernichtung von Umweltressourcen eindämmen. Ob diese Ziele auch nur annähernd erreicht worden seien, lasse sich nur schwer ermitteln, sagte die Diskussionsleiterin Adrienne Goehler im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum, wo die Utopie Station sich diesmal traf. Es lasse sich aber wohl sagen, dass ökonomische Ziele das Erreichen vieler dieser Ziele verhindert hätten. Das Ziel, die Milliarde extrem Armer, die nicht mehr als einen Dollar am Tag zur Verfügung haben, zu halbieren, sei wohl erreicht worden, sagte Beat Dietschy, Schüler Ernst Blochs und seit sieben Jahren Geschäftsführer der Hilfsorganisation „Brot für alle“, dem Schweizer Pendant zu „Brot für die Welt“. Dieser Erfolg sei aber auf das Wirtschaftswachstum in China zurückzuführen, weniger auf die UN-Millenniumsziele, meinte Dietschy. Das Ziel, die Zahl der Hungernden zu reduzieren, habe dagegen sicherlich die Weltwirtschaftskrise der Jahre 2007/2008 verhindert, als die Lebensmittelpreise explodiert seien. Insgesamt bewertete Dietschy die Millenniumsziele vorrangig als einen Versuch zu zeigen: „Seht her, wir machen etwas!“ Dabei scheitere eine Überprüfung, ob Ziele erreicht worden seien, oft schon allein an der Zahlen- und Datenbasis. So sagten etwa Einschulungszahlen oder die Anzahl von Schulräumen nichts über den ohnehin nicht messbaren Lerneffekt aus, führte Dietschy ein Beispiel an. Und insgesamt werde durch die Datenerhebung der ökonomische „Wachstumsfetischismus“, neben dem „Überkonsum“ in den reichen Industrieländern eine der Hauptursachen der Probleme, ebenso wenig in Frage gestellt wie das Monopol des westlichen Denkens. Diesen Machtanspruch verfolgte der Kulturwissenschaftler Markus Krajewski von der Universität Basel bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Um 1900 sei der Begriff der „Restlosigkeit“ als Leitvorstellung geprägt worden, sagte er. Restlos alles bis in den letzten Winkel des Amazonasgebiets sollte kolonisiert werden. Der Neoliberalismus im Zeitalter der Globalisierung kann als die Fortsetzung verstanden werden. „Schöne politische Taten“ in dem ganzen UN-Weltverbesserungsprogramm vermisste André Leipold vom Zentrum für politische Schönheit, einer Aktionskünstlergruppe. Als Beispiel für eine schöne politische Tat Mächtiger nannte er den Kniefall Willy Brandts in Warschau. So hat Leipolds Künstlergruppe jüngst eine Website im Internet installiert, die so aussah, als ginge sie auf das Familienministerium Manuela Schwesigs zurück und würde 55.000 syrische Flüchtlingskinder, ein Prozent der gesamten Zahl, in Pflegefamilien vermitteln. Die Bundesregierung habe „nicht politisch schön, aber klug reagiert“, sagte Leipold. „Wir wurden ins Kanzleramt eingeladen, und es wurde uns gesagt: Reden ist immer gut.“

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