Ludwigshafen Schau mir in die Augen, Dirigent

Das Orchester muss der musikalischen Idee des Dirigenten folgen. Wie kann er das am besten ausdrücken?
Das Orchester muss der musikalischen Idee des Dirigenten folgen. Wie kann er das am besten ausdrücken?

Volltönend erklingen die Celli und eröffnen die Probe mit einem expressiven Eingangsthema. Auf dem Dirigentenpult steht Hangyul Chung mit solcher Hingabe und Ausdruck, als ob er selbst die Instrumente von seinem Platz aus streichen würde. Ganz von selbst gehen die Musiker dabei auf seine Bewegungen ein und folgen seiner musikalischen Idee. Für Hangyul Chung ist es eine besondere Probe, denn als junger Dirigierstudent ist es keine Alltäglichkeit, mit einem Profi-Orchester arbeiten zu können. „Die Staatsphilharmonie ist ein großartiges Orchester, das häufig mit unterschiedlichen Dirigenten spielt. Die Musiker sind es gewohnt, sich anzupassen und schnell zu reagieren“, erklärt Hangyul Chung. „Mit ihnen kann ich unterschiedliche Dirigate ausprobieren, weil sie alles sehr schnell umsetzen.“ So können die Studenten viel besser lernen, ihre musikalische Vorstellung dem Orchester zu vermitteln: verschiedene Tempi, ein stärkeres Crescendo oder Decrescendo. „Ein Studentenorchester erfordert eine ganz andere Probenarbeit, da hier das Erlernen der Stücke zunächst im Vordergrund steht.“ Für die heranwachsenden Dirigenten ist es von unschätzbarem Wert, mit professionellen Musikern zusammenzuarbeiten, um Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Um den Studierenden der Musikhochschule Mannheim genau das zu ermöglichen, wurde das Projekt „Dirigieren im Fokus“ ins Leben gerufen. 2018 wurde in der Mannheimer Musikhochschule das Landeszentrums für Dirigieren in Baden-Württemberg eröffnet und bietet eine große Vielfalt in der Ausbildung unterschiedlicher Kompetenzen. Im Bereich Sinfonik steht die Staatsphilharmonie als Partnerorchester zur Verfügung, an dem Chung und seine Kommilitonen üben und in öffentlichen Galakonzerten ihr Können unter Beweis stellen dürfen. Im Probensaal unterstreicht Chung mit viel Gestik und Mimik seine präzisen Handbewegungen, während die Melodie durch das Orchester wandert und sich allmählich steigert. Doch die Musik wird jäh abgebrochen. „Sie kommen beim Tempowechsel immer noch eine halbe Sekunde zu spät mit der Hand runter“, korrigiert ihn sein Professor Stefan Blunier, der die Probe aufmerksam verfolgt und immer wieder Verbesserungsvorschläge einbringt. „Professor Blunier beobachtet uns sehr intensiv und gibt uns viele hilfreiche Tipps.“ Bei einer vorigen Probe hat er Chung zum Beispiel geraten, mehr Kontakt mit den Musikern aufzubauen. „Ich sollte musikalisch aktiver zeigen, was ich von den Musikern möchte. Das hat heute schon viel besser geklappt“, freut er sich. Und das hat es wirklich – der direkte Augenkontakt mit den Musikern und die gesamte Gestik wirkten an diesem Probentag bereits locker und routiniert. Eine eigene Zeichensprache müssen angehende Dirigenten nicht können, aber sie müssen lernen, die Signale deutlich zu geben. Und auf das richtige Timing kommt es dabei an. „Das Pizzicato der Bässe ist zu spät“, korrigiert Professor Blunier. Wenn die Bässe nicht beginnen, verzögert das auch den Einsatz der anderen Instrumente. Angefangen zu dirigieren, hat Hangyul Chung bereits als Schüler in seiner Heimat Korea. Dort hat er ein kleines Orchester gegründet, um mit ihnen eigene Kompositionen zu proben. Und dadurch hat er schließlich seine Leidenschaft für das Dirigieren entdeckt. Was er seitdem gelernt hat, durfte er am Mittwochabend beim Galakonzert in der Ludwigshafener Philharmonie zeigen. Die „Tänze aus Galanta“ von Zoltán Kodály, die er einstudiert hat, wurden ihm von Professor Blunier vorgeschlagen. „Es ist ein sehr schwieriges Stück für mich, da es sehr frei und flexibel im Tempo ist, mit viel Rubato. Ich bin lieber sehr präzise und strukturiert.“ Zu den Komponisten, die er am liebsten dirigiert, zählen insbesondere Mozart und Strawinsky. „Kodály ist eine große Herausforderung für mich, aber dadurch natürlich auch eine sehr gute Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln.“ Hangyul Chung ist seit 2019 Stipendiat beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrats und schließt im Juli sein Masterstudium ab. Wie es danach weitergeht, weiß er noch nicht genau, möchte aber gerne erst einmal in Deutschland bleiben. „Vielleicht mache ich noch ein Aufbaustudium hier in Mannheim. Ich bin an der Musikhochschule sehr glücklich, weil man wirklich viele Chancen hat, mit Profis zu arbeiten. In der Hinsicht ist Mannheim echt toll.“ Zur Rubrik Wie entsteht Kunst? In loser Folge schauen wir „Hinter die Kulissen“ des Kulturbetriebs, gehen dorthin, wo Besucher sonst meist keinen Zutritt haben und berichten in Reportagen oder Hintergründen darüber.

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