Ludwigshafen „,Lili Marleen’ ist nichts für eine junge Frau“

„Ich will mich als Vokalistin weiterentwickeln“: Julia Neigel im Gespräch.
»Ich will mich als Vokalistin weiterentwickeln«: Julia Neigel im Gespräch.

Julia Neigel zeigt sich von ihrer sanften Seite. Ihr neues Album wird „Samt und Seide“ heißen, und morgen tritt die Sängerin vorab, nur begleitet von Gitarre und Piano, in Mannheim auf. Auf dem Programm stehen Balladen und Chansons, die man von ihr noch nicht kennt.

Ihr aktuelles Programm heißt „Samt und Seide“. Können Sie etwas zur Entstehung sagen?

Auf die Idee gebracht hat mich Richard Müller vom Kammgarn in Kaiserslautern. Wir sind schon sehr lange befreundet. Ich habe ihm gesagt, ich würde gerne ein Akustik-Programm machen, mit Stücken, die nichts mit meinen eigenen Sachen zu tun haben. Ich will mich als Vokalistin weiterentwickeln, neue Sachen ausprobieren. Dann haben wir uns einen Programmnamen überlegt, und Richard hat Titel vorgeschlagen. Darunter sind Chansons, auch ein Blues und mehr. So kamen wir zum Beispiel auf „Lili Marleen“. Und so haben wir Stücke genommen, die schon bekannt sind, die ich aber noch nie gesungen habe, und Stücke, die man eher selten gehört hat. Wann kommt das Album ’raus? Ich warte noch auf den richtigen Zeitpunkt. Ich denke im nächsten Jahr, es liegt ja schon fertig in der Schublade. Jedenfalls sind die Konzerte auch gute Gelegenheiten, neue Sachen zu probieren. Warum sind die Abstände zwischen den Albumveröffentlichungen so groß? So ein Album ist für mich etwas sehr Wertvolles, ein Schatz, den ich den Menschen geben will. Deshalb müssen da für mich bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die mir wichtig sind. Das ist manchmal schwierig, denn die Musikindustrie ist gerade im Umbruch. Produktion und Vertrieb funktionieren nicht mehr wie früher. Der Capitol-Auftritt wird ein rein akustisches Konzert? Ja, ich komme mit Pianist Simon Nicholls und Gitarrist Jörg Dudys. Das ist auch für mich etwas Besonderes, da ich ja viel mit einer Rockband gearbeitet habe. Das Trio hat eine jazzige, loungige Basis und trotzdem viel Power. Die Reaktionen sind sehr positiv. Eine Freundin hat einen Blues, den ich auf Englisch singe, ins Netz gestellt, und die Kommentare waren begeistert. Das ist ein Beispiel für etwas, das ich in meinem anderen Programm mit Rockband nicht mache, aber das hier seinen Platz findet. Das würde auch nicht auf ein Album passen. Es gibt also neue und noch unbekannte Facetten von Julia Neigel zu erleben? Ja, das sind Facetten, die man von den Studioproduktionen sicher nicht kennt. Das betrifft die Sprache, wie etwa beim Blues eben Englisch, und es betrifft die Instrumentierung. Und meine eigenen Stücke sind eben anders, viel rockiger. Wie kamen Sie im Trio-Programm auf „Lili Marleen“? Das ist ja ein Stück mit Geschichte? Ja, und ich finde die Geschichte wichtig. Natürlich habe ich mich mit der Geschichte deutscher Musik befasst, nicht nur mit dem Genre, in dem ich selbst aktiv bin. Und ich habe großen Respekt vor Künstlern wie Marlene Dietrich und Hildegard Knef, und über „Lili Marleen“ habe ich dann Lale Andersen entdeckt, die die Ur-Version gesungen hat. Ich habe die Comedian Harmonists schon vor ganz langer Zeit gehört. Es gab ja eine sehr reiche deutsche Unterhaltungskultur, die dann durch die Nazis und den Krieg zerschossen wurde. Manches wird jetzt wieder etwas bekannter, zum Beispiel durch Max Raabe. „Lili Marleen“ kenne ich schon lange, aber das ist kein Stück für eine junge Frau. Sie haben jetzt auch die 50 überschritten, was bedeutet das für Sie? Die Zahl an sich ist mir völlig egal. Ich lebe. Ich fühle mich jung, ich arbeite. Klar finde ich auch das eine oder andere graue Haar, aber das hat keine Bedeutung, solange ich gesund bin und mich in meiner Haut wohlfühle. Viel wichtiger finde ich die Erfahrung, die wir mit dem Älterwerden sammeln. Ein Teenager weiß mehr als ein Kind, ein Erwachsener weiß mehr als ein Teenager und so geht das immer weiter. Ich bin sehr froh, dass ich so lange leben darf. Wenn ich Menschen treffe, die älter sind, schätze ich es, wenn sie ihre Erfahrungen reflektieren, etwas lernen und weitergeben. Es ist ein riesiges Geschenk des Alters, wenn Menschen Weisheit und Charisma entwickeln. Natürlich bin ich selbst auch jemand anderes als vor 30 Jahren. Wie merkt man das auf der Bühne? Das kann ich selber natürlich nur schwer beurteilen. Ich glaube, dass ich mich handwerklich verbessert habe. Meine Stimme habe ich immer gepflegt, und ich denke, sie hat sich auch weiterentwickelt. Ich habe versucht, die Stimme noch stärker zum Ausdruck meines Innern zu machen. Damit habe ich jetzt natürlich mehr Erfahrung als am Anfang meiner Karriere. Ich höre auch mehr auf meinen Körper, er ist ja Teil des Instruments Stimme. Sie sind sozial und politisch engagiert, haben gerade eine Petition gegen Aufrüstung unterzeichnet und verbreitet. Wie erleben Sie als Russlanddeutsche, dass Russland verstärkt als Bedrohung des Westens dargestellt wird? Ich kann mich noch sehr gut an den Kalten Krieg erinnern. Das wollen wir nicht wieder! Ich glaube auch nicht, dass die Dinge so einfach sind, wie sie heute dargestellt werden. Ich wünsche mir sehr, dass Politiker wieder mehr die Verständigung suchen, wie in der damals neuen Ostpolitik der 70er Jahre. Aufrüstung schadet doch uns allen. Was könnte man mit den für Rüstung geplanten 30 Milliarden alles Sinnvolles machen! „Lili Marleen“ ist zum Soldatenlied geworden, über alle Fronten hinweg... Genau. Denn es bringt zum Ausdruck, dass jeder Soldat ein Mensch ist und sich wie jeder Mensch nach Liebe, nach einer Frau, einer Familie sehnt. Das hat mich daran berührt. Termin Am Samstag, 25. November, um 20 Uhr im Capitol Mannheim. Karten im Vorverkauf unter der Rufnummer 0621/3367333

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