TV-Kritik Lenas Tante mischt den „Tatort“ auf

„Ludwigshafen – wie hältst du das hier bloß aus?!“ fragt „Lenas Tante“, so auch der Titel des SWR-„Tatorts“, die zu Besuch gekommen ist. „Ich werd’ der Stadt halt immer ähnlicher“, kontert Lena Odenthal, seit mehr als drei Jahrzehnten als Kommissarin vor Ort, leider ohne näher darauf einzugehen, wie sich das auswirkt. „Das ist Provinz, Lenchen, finsterste Provinz“, befindet die Tante, die zuvor unbemerkt ein paar Tage in Mannheim verbracht hat. „Mir gefällt’s“, behauptet sich Odenthal jedoch.
„Will hier nicht weg“
Fast wie ein Horrorfilm beginnt ihr 77. „Tatort“ mit einem brennenden Sarg, der sich plötzlich auftut, und einer Hand, die heraus will. „Sehr spektakulär. Das ist genau der Fall, den du brauchst, um von hier wegzukommen“, meint Lenas Tante, eine berüchtigte und ehrgeizige pensionierte Staatsanwältin, die für ihre Nichte eine Karriere plant, am besten in Mainz, der Landeshauptstadt. „Ich will nicht hier weg“, verwehrt sich die Kommissarin jedoch.
Der Fall führt sie freilich dennoch vor die Tore die Stadt, ins benachbarte Maxdorf, wo der Tote zu Hause war und nunmehr der Enkel anzutreffen ist, ins „Paramoni Haus Kurpfalz“, in dem Opa Fritz zuletzt lebte. Dieses Altenstift in verschneiter, bergiger und bewaldeter Landschaft sieht dabei wenig nach Kurpfalz aus und ist tatsächlich, als aufgelassenes Kloster Neusatzeck, in der Nähe der badischen Kleinstadt Bühl zu finden. Aber auch die Szenen in Maxdorf, am Anfang, in der Mitte und im Finale des Krimis, die zumindest nach Maxdorf aussehen, wurden nicht im Rhein-Pfalz-Kreis, sondern rund 150 Kilometer weiter südlich im Ortenaukreis aufgenommen. Gar nicht mehr allzu weit entfernt vom ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof übrigens, dessen Gedenkstätte und Archiv Lenas jüngere Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) aufsucht.
Finstere Provinz
Von Ludwigshafen selbst war der Hauptbahnhof zu entdecken, an dem Lena (Ulrike Folkerts) ihre Tante Niki Odenthal erst vom Zug abholte und am Ende wieder hinbrachte. Und der Hauptfriedhof samt Trauerhalle, aber nur in Teilen, weil die Beerdigung Fritz Herrwegs – und seines Starkstromkabels – dann doch wieder in Baden-Baden, dem Standort des SWR, gefilmt wurde. Ludwigshafen ist eben Provinz, finsterste Provinz ...
Die Story von Stefan Dähnert, der bereits etliche Ludwigshafener „Tatorte“, auch den letzten, „Das Verhör“, geschrieben hat, verläuft unerwartet und originell, gerade weil die Stadt für gewöhnlich nicht so eng mit einem Konzentrationslager in Verbindung gebracht wird wie andere deutsche Städte.
Natzweiler-Struthof, knapp 200 Kilometer entfernt, ist von hier aus tatsächlich das nächstgelegene ehemalige Stammlager. Eines seiner Außenlager, an das heute eine Gedenkstätte erinnert, befand sich viel weniger weit entfernt: in Mannheim-Sandhofen. Stimmig inszeniert von Schauspieler und Regisseur Tom Lass („Ich bin Sophie Scholl“) ist Dähnerts Drehbuch ebenfalls, wobei dem angestammten Ludwigshafener Personal das Spiel alterfahrener Akteure in den Gastrollen sehr gut tut: der 96-jährige Dieter Schaad, der das Balzverhalten der Grauspechte studiert, Rüdiger Vogler als Altenheimbewohner Herr Kahane und ganz besonders Ursula Werner als scharfzüngige und resolute Dr. jur. Niki Odenthal, „Lenas Tante“ eben.