Ludwigshafen Kantig, hitzig, wunderbar!

Das Festival Enjoy Jazz, international beachtetes Jazzgroßereignis in der Rhein-Neckar-Region, findet traditionell im Herbst statt. Vereinzelte Konzertzugaben zu späterem Zeitpunkt hat es schon gegeben, erstmals ist nun auch ein sommerliches Angebot dabei. In der Alten Feuerwache in Mannheim durfte man Zeuge sein der Begegnung des Saxophonisten Joshua Redman mit dem Trio The Bad Plus. Es wurde ein bemerkenswerter Abend.

Dass diese vier Musiker zusammenkommen würden, lag nicht unbedingt auf der Hand. Joshua Redman, jazzgenetisch vorbelasteter Überflieger aus Kalifornien, hatte sich aus nicht einfachen Verhältnissen bis nach Harvard hochgearbeitet und ein Yale-Stipendium vor der Nase, als er den bis dahin freizeitmäßig betriebenen Jazz zum Beruf machte und gleich die Szene mächtig aufmischte. Seit Mitte der 90er Jahre ist der heute 46-Jährige eine feste Saxophongröße im Jazz, macht immer wieder recht unterschiedliche Projekte mit wechselnden Partnern. Pianist Ethan Iverson, Schlagzeuger Dave King und der Kontrabassist Reid Anderson gründeten 2000 ein Trio, das progressive Rocksongs und anderes Material in streng strukturierten, dabei kräftig lospolternden Jazz verwandelten. Zehn Jahre blieb man weitgehend unter sich. 2011 hatten die Drei dann den Einfall, Redman zu einem Gig im New Yorker Jazzclub Blue Note einzuladen. Nicht nur das Publikum war begeistert. Man beschloss, auch weiterhin kontinuierlich zusammenzuarbeiten. Wenn dieses Quartett nun in der ausverkauften Alten Feuerwache loslegt, sich über lyrisch mäandernde Bassimprovisationen oder kantig-spröde Klavierakkorde in immer komplexere Stücke hineinwühlt, wenn Saxophonsoli voller jazzgeschichtlicher Anspielungen dazukommen und ein kraftstrotzendes Schlagzeug für bedrohlichen Überdruck sorgt, wenn dieser Jazz zwischen schräger Gelassenheit und wuchtiger Energie eine perfekte Balance erzeugt, dann glaubt man hier ein seit Jahrzehnten eingespieltes Ensemble vor sich zu haben. Für Redman mag es vielleicht nur ein weiteres Projekt seiner in viele Richtungen offenen Karriere zu sein, vielleicht sein bislang bestes immerhin. Aus der Perspektive von The Bad Plus muss man dagegen den Eindruck gewinnen, dass hier ein bislang fehlendes Element gefunden wurde, das vierte Bandmitglied, das dem ausgebufft-coolen Triokonzept gleichermaßen jazzgeschichtliche Erdung wie überraschende Emotionalität hinzufügt. Das dichte, durchgehend spannungsreiche Repertoire des 90-Minuten-Sets bestand weitgehend aus neuen Kompositionen aller Bandmitglieder, die auch auf dem ersten Album „The Bad Plus Joshua Redman“ zu finden sind. Dazu kamen ein paar ältere Stücke. Das lakonisch Schräge, stilistische Doppeldeutige, das dieser Musik eigen ist, ist bereits in Titeln wie „Faith Through Error“ oder „Beauty has it Hard“ angedeutet. In der Musik selber begegnen sich die Gegensätze dann auf ebenso verblüffende wie selbstverständliche Weise. Da trifft das Kantige auf die Kantilene, hymnische Hitze auf kühles Understatement, barocke Opulenz auf abstrakte Klarheit, und alles fügt sich ganz wunderbar zu einem Ganzen. Redman ist schon äußerlich ein lässig-schlaksiger Typ mit Karohemd und breitem Grinsen, auf dem Tenorsaxophon spielt er einen schlanken Ton, der in den tiefen Lagen obertonreich vibriert und in den Höhen fast ohne Überblasen eine mitreißende Intensität gewinnt. Sein Gegenpart, optisch wie musikalisch, ist Pianist Ethan Iverson. Der trägt Anzug, ist ein eher bulliger Typ mit kahlem Schädel und Bärtchen am Doppelkinn. Mit seiner immer leicht desinteressiert wirkenden Haltung könnte er auch als Türsteher durchgehen, wäre da nicht die Hornbrille und die irgendwie verschmitzt wirkende Angriffslust, die einem Stück jederzeit eine schroffe Wendung geben kann. Aber in diesem Quartett sind Redman und Iverson nur gleichberechtigte Partner der beiden anderen. Anderson steuert nicht nur den ganz und gar eigenständigen Basspart bei, sondern auch die launigen Ansagen, und King ist ein unkalkulierbares Kraftwerk, das den Energiezufluss der Stücke auf immer wieder verblüffende Weise regelt. Natürlich war auch das Mannheimer Publikum noch nach zwei Zugaben ganz aus dem Häuschen. Die Festivals in Istanbul, Rotterdam und Molde, wo die Band im Sommer noch auftreten wird, dürfen sich freuen. Und auch bei Enjoy Jazz im Herbst wird Joshua Redman noch mal dabei sein, ohne The Bad Plus, dafür mit seinem Quartett James Farm. Auch das sind schöne Aussichten.

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