Ludwigshafen Ist der Hochstraßenkomplex noch zu stemmen?

So trostlos wie die finanzielle Ausgangslage: Baustelle an der ehemaligen Pilzhochstraße.
So trostlos wie die finanzielle Ausgangslage: Baustelle an der ehemaligen Pilzhochstraße.

Steigen die Baupreise weiter so rasant, dann könnten sich die Gesamtkosten für das Hochstraßensystem auf unglaubliche 1,5 Milliarden Euro verdoppeln. Das geht aus Berechnungen der Verwaltung hervor, die am Montag dem Stadtrat vorgelegt werden.

Aktuell verhandelt die Stadt mit Bund und Land über die Finanzierung des Mammutprojekts. Weil es sich bei der bereits 2020 abgerissenen Hochstraße Süd und ihrer Nordschwester um zwei Verkehrsadern mit überregionaler Bedeutung handelt, deren Sanierungen Ludwigshafen möglichst im Paket verhandeln will, hofft die Stadtspitze auf erhebliche Zuschüsse aus Mainz und Berlin. Schließlich gehe es bei dem größten Infrastrukturprojekt der Metropolregion Rhein-Neckar um die Zukunftsfähigkeit eines Wirtschaftsraums mit 2,4 Millionen Einwohnern, argumentiert die Stadtspitze. Seit längerer Zeit diskutiert wird ein Kostenschlüssel zwischen Bund/Land/Stadt von 60/25/15 Prozent. Als Grundlage der Gespräche dienen die jetzt von der Stadt angestellten Berechnungen.

So hoch wie die Gesamtverschuldung

Demnach könnten sich die Gesamtkosten für die Modernisierung des Hochstraßensystems von derzeit kalkulierten 721 Millionen Euro (Stand 31. Dezember 2021) bis zum Projektende Anfang der 2030er-Jahre auf 1,46 Milliarden Euro verdoppeln, was der momentanen Gesamtverschuldung der Stadt entspricht.

Einberechnet sind hier unter anderem auch die Kosten für den Rathaus-Abriss (72 Millionen Euro), den bereits beschlossenen Ersatzbau für die Pilzhochstraße (128 Millionen Euro), die Modernisierung der 950 Meter langen sogenannten Weißen Hochstraße (55 Millionen Euro), also des Abschnitts der Hochstraße Süd, der in Richtung Pylonbrücke auf die Pilzhochstraße folgt, sowie nicht förderfähige Planungskosten (120 Millionen Euro). Laut Stadtverwaltung muss an der Weißen Hochstraße die Statik verbessert werden, um sie für höhere Belastungen zu ertüchtigen. Ein Abriss stehe nicht zur Debatte.

„Eine Herkulesaufgabe“

So oder so: Die ganze Gemengelage ist mindestens so komplex wie das Geflecht von Auf und- Abfahrten an der Kurt-Schumacher-Brücke. Weil die Bau- und Materialpreise derzeit weltweit explodieren, hat die Stadtverwaltung für ihre Berechnungen zwei Szenarien entworfen, um dem Stadtrat eine einigermaßen realistische Kostenschätzung zu servieren.

Straßengeflecht der Hochstraße Nord.
Straßengeflecht der Hochstraße Nord.

Szenario 1

In Szenario 1 wurde die vom Statistischen Bundesamt berechnete Baupreissteigerung der vergangenen fünf Jahre (5,6 Prozent) zugrundegelegt. Allein im Fall der ebenerdigen Helmut-Kohl-Allee als Ersatz für die marode Nordtrasse würde dies die Baukosten auf 585 Millionen Euro erhöhen. Zum Vergleich: 2018 war noch von 255 Millionen Euro die Rede, 2019 von 360, Ende 2021 von 418. Unterm Strich stehen in dieser Variante Gesamtkosten von 952 Millionen Euro. 280 davon müsste die Stadt beisteuern nach Abzug der erhofften Zuschüsse von Bund und Land.

Szenario 2

In Szenario 2 wurde der Aufwand für die Kohl-Allee mit der aktuellen und damit realistischeren Baupreissteigerung von 14,9 Prozent hochgerechnet. In diesem Szenario würden sich die Baukosten auf über eine Milliarde Euro erhöhen, bei einem zweijährigen Zeitverzug sogar auf 1,35 Milliarden. In der Vorlage für den Stadtrat ist von „einer Herkulesaufgabe“ die Rede, selbst wenn die Stadt aus Mainz und Berlin unterstützt würde. Unterm Strich belaufen sich die Gesamtkosten in diesem Fall auf 1,46 Milliarden Euro. 381 Millionen Euro blieben bei der Stadt hängen.

Auf hoher See und vor Gericht, bist du in Gottes Hand. Das sind wir auch„: Baudezernent Alexander Thewalt.
Auf hoher See und vor Gericht, bist du in Gottes Hand. Das sind wir auch": Baudezernent Alexander Thewalt.

Das sagt der Baudezernent

Lässt sich das Gesamtprojekt angesichts dieser Dimensionen überhaupt noch stemmen? Da muss auch Baudezernent Alexander Thewalt (parteilos) passen. „Das ist eine superschwierige Frage, wir sind auf jeden Fall auf Fördermittel angewiesen“, sagte er am Freitag auf Anfrage. Und: „Auf hoher See und vor Gericht bist du in Gottes Hand. Das sind wir auch.“ Über laufende Verhandlungen mit Bund und Land wollte Thewalt keine Angaben machen.

Hier geht’s zum Kommentar.

Chronik: Die Hochstraßenkrise

Ludwigshafen hat sich beim Wiederaufbau nach dem Krieg für das Konzept einer „autogerechten Stadt“ entschieden. Ein Hochstraßensystem wird geplant. Das erste Stück (Pilzhochstraße) der Südtrasse wird im Sommer 1959 eingeweiht. Im folgenden Jahrzehnt wird die Hochstraße Süd (B37) verlängert und ans Fernstraßennetz angeschlossen. Von Beginn an ist eine zweite Rheinbrücke geplant, die 1972 eingeweihte Kurt-Schumacher-Brücke, die mit einer Hochstraße angebunden werden soll. Durch die Verlegung des Bahnhofs wird dafür Platz geschaffen. Die Hochstraße Nord (B44) wird von 1970 und 1981 gebaut. Über 500 Millionen Mark fließen in beide Bauprojekte.

Beton hält nicht ewig

Ende der 1990er-Jahre zeigt sich, dass Beton nicht ewig hält. Teilbereiche der Hochstraße Süd werden saniert. Die Stadt hat zuvor vergeblich versucht, die Baulastträgerschaft für die Betonriesen an Bund oder Land zu übertragen. Die Schäden an der Hochstraße Nord nehmen immer weiter zu. 2010 kommt die Teilsperrung für Lkw, Fangnetze werden unter die bröckelnde Trasse gehängt. Nach langen Debatten wird 2014 beschlossen, dass sich eine Sanierung nicht rechnet und die Hochstraße Nord abgerissen werden soll. Eine Entscheidung, die bis heute polarisiert. Entlang einer neuen ebenerdigen 860 Meter langen Helmut-Kohl-Allee sollen in der „City West“ neue Büro- und Wohnhäuser entstehen. Das bietet der Innenstadt Entwicklungsmöglichkeiten. Die Befürworter argumentieren, dass die Stadtstraße die schnellste Bauzeit habe und die günstigste Variante sei.

Süd auch ein Sanierungsfall

Während der Bauarbeiten an der Nordtrasse sollte eigentlich die Hochstraße Süd als Umleitung dienen. Doch zu Jahresbeginn 2018 wird bekannt, dass die 500 Meter lange Pilzhochstraße ein Sanierungsfall ist. Die Hochstraße Süd wird im Herbst 2018 für Lkw gesperrt, um Gewicht von der Trasse zu bekommen. Im August 2019 folgt nach Rissen in den Stützen die Totalsperrung. Experten schlagen Alarm: Es herrscht Einsturzgefahr. Die Pilzhochstraße wird 2020 abgerissen. Der Ersatz, eine 530 Meter lange Spannbetonkonstruktion, soll bis Ende 2025 stehen. Als Umleitung soll die marode Nordtrasse dienen.

Rathaus-Center gekauft

Der geplante Abriss und Neubau der Nordstraße, der 2020 hätte beginnen sollen, wird verschoben. Die Stadt hat dafür Anfang 2019 das Rathaus-Center gekauft, um freie Hand zu haben. Im September 2020 hat die Stadtspitze einen neuen Vorschlag: Abriss des Turms und des Centers bis Ende 2025. Dadurch könnte die neue Stadtstraße parallel zum Abriss der Hochstraße Nord gebaut werden, was zwei Jahre Bauzeit und somit auch Kosten sparen soll. Doch die Kostenschätzungen gehen durch die Decke: Aktuell ist von bis 1,5 Milliarden Euro für alle Projekte die Rede.

Kommentar: In der Kostenfalle

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Ende April 2010: Minister Peter Ramsauer (CSU) begutachtet die Schäden an der Hochstraße Nord.
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