Ludwigshafen Gewichtige Körper, gelenkige Beine

Das Mannheimer Bürgerbühnenfestival macht deutlich, wie sich das Theater in Richtung Lebensnähe verändert. Es sucht die Mitarbeit von Amateuren, die als „Experten des Alltags“ ihre persönlichen Geschichten einbringen, und erfindet die szenischen Mittel dafür. Die sind so unterschiedlich wie „Michael Essien – I want to play as you ...“, ein Tanztheater über afrikanische Fußballer in europäischen Clubs, oder das Doku-Theater „Dicke Frauen“.

Ein afrikanischer Traum ist es, Profifußballer in Europa zu werden. Neben Stars wie dem aus Ghana gebürtigen Michael Essien, der einen zweieinhalb Millionen-Vertrag beim AC Mailand hat, gibt es ein afrikanisches Fußballer-Proletariat, das zwischen zweit- und drittklassigen Clubs verschoben wird. Der Regisseur Ahilan Ratnamohan hat in Sidney Film studiert, sich danach aber als Profi-Fußballer in Europa versucht. Er weiß also, wovon er spricht, ebenso wie seine sechs Fußballprofis aus Westafrika. Gemeinsam mit ihnen hat er das Stück „Michael Essien – I want to play as you ...“ erarbeitet. Es ist nach Performances in Australien und Europa seine erste Choreografie. Auf der in den Zuschauerraum hinein vergrößerten Bühne des Schauspielhauses des Nationaltheaters laufen sie ein wie Tänzer und bewegen sich dabei wie Fußballer. Die Dynamik reißt mit; der Sport wird zum Tanz flinker, gelenkiger Beine und Füße. Manchmal tänzeln sie um den Ball herum, meistens tänzeln sie ohne, aber so intensiv, dass man meint, man sähe den Ball rollen. Die farbigen Spieler gelten ja als die Ballkünstler – hier sieht man die spielerische Leichtigkeit ihrer Kunst, die vielleicht darauf gewartet hat, einmal zum Tanztheater zu werden. Zwischen die Tanzsolos und Gruppenszenen sind Monologe und Dialoge eingeschoben. Was man darin erfährt – in einem expressiven afrikanischen Englisch, dessen Inhalte in Übertiteln zusammengefasst sind – ist nicht schön und elegant. Mit Versprechen, die gebrochen werden, und ständiger Drohung der Abschiebung werden die Afrikaner zwischen Clubs hin- und hergereicht. Sie leiden unter dem rauen Klima, unter Stress und menschlicher Isolation. Wenn sie in ihre Heimat zurückkehren, werden sie dort als vermeintliche Stars ausgenommen. Obwohl das alles grundtraurig ist, bringen die Spieler es mit einem Humor, wie er so nur Afrikanern eigen ist. Mit Entertainertalent spielen und sprechen sie dabei ins Publikum hinein. Zum Schluss laufen wieder die wunderbaren Ballkünstler im Kreis, und wenn das Licht ausgeht, meint man sie immer noch laufen zu sehen. „Dicke Frauen“ ist eine Produktion des Theaterprojekts „heißes medium: polylux“ aus Hildesheim mit mehreren Kooperationspartnern. Wer dick ist, wird scheel angesehen, besonders als Frau, und es hagelt diskriminierende Bemerkungen. Davon erzählen sieben Frauen in kleinen persönlichen Geschichten und objektiven Berichten zum gegenwärtigen Erkenntnisstand. Bis auf eine, die krankheitsbedingt abgenommen hat, sind alle dick. In abwechselungsreichen Szenen schickt die Regisseurin Nora Graupner sie auf die Bühne. In der ersten Hälfte wird in aufklärerischer Moll-Stimmung über die Nutzlosigkeit von Diäten, von pseudomedizinischen Vorurteilen und Vermeidungsstrategien berichtet. In der zweiten Hälfte geht es mit Bekenntnissen und Missgeschicken fröhlich und unterhaltsam zu. Sie sind bühnenpräsent, sprechen weit über dem Niveau von Amateuren. Tanja, die jüngste im schwarz-roten Outfit, nimmt zusätzlich durch Schauspiel und Gesang ein. Das revuehafte Ende in langen, dekolletieren, knallfarbigen Kleidern schließt eine lustige Publikumsbefragung ein. Dicksein gehört zum Leben. Auch das Theater ist farbloser geworden, seit die Dicken daraus verschwunden sind.

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