Ludwigshafen Gesichter gegen das Vergessen

Vor einem halben Jahr prangten Luigi Toscanos überdimensionale Fotografien von Mannheimer Asylbewerbern in den Fenstern der Alten Feuerwache. Die Installation fand viel Beachtung und war Initialzündung für das nächste Vorhaben des Mannheimer Fotografen. Diesmal sollen es die Gesichter von Opfern des Nationalsozialismus sein. „Gegen das Vergessen“ nennt Toscano das Projekt, das ihn bereits nach Moskau und Haifa geführt hat.

„Guten Tag Herr Toscano, ich wollte bei Ihrem Projekt mitmachen. Ich war drei Jahre in Auschwitz.“ Mittlerweile hat sich Luigi Toscano an solche Telefonate gewöhnt. „Aber am Anfang war das sehr schwer. Wie reagiert man denn da angemessen?“ Dass es wohl sein emotionalstes Projekt werden würde, war dem Fotografen und Filmemacher schnell klar. So grausam sind die Geschichten, die er hören muss, so emotional die Begegnungen mit ehemaligen Zwangsarbeitern und Überlebenden des Holocaust. „Aber ich ziehe das durch.“ Schon als Jugendlicher habe er sich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt, Bücher gelesen und Dokumentarfilme angeschaut, erzählt Toscano. „Ich wollte schon lange etwas zu dem Thema machen.“ Der Erfolg seiner Installation „Heimat_Asyl“ habe ihm gezeigt, dass Geschichte im öffentlichen Raum funktioniert. So entschied er sich, diese Strategie nochmals anzuwenden – nur größer. Sören Gerold, der Geschäftsführer der Alten Feuerwache, ist wieder williger Komplize. Diesmal werden die Leinwandbahnen mit den Gesichtern nicht nur in den zwei oberen Stockwerken prangen, sondern auf allen Fenstern der Alten Feuerwache inklusive Turm. Anfangs war es für Luigi Toscano allerdings nicht leicht, Zeitzeugen zu finden, die bereit waren, an seinem Projekt mitzuwirken. Er schrieb KZ-Gedenkstätten in ganz Deutschland an und wandte sich ans Mannheimer Stadtarchiv. Dort bekam er Unterstützung von Hans-Joachim Hirsch. Der Historiker arbeitet in der KZ-Gedenkstätte Sandhofen. Durch ihn kam der Kontakt zu fünf polnischen Zwangsarbeitern zustande, die zu einem Besuch nach Mannheim kamen. Die Installation „Heimat_Asyl“ hing damals gerade. „Die Männer wollten sie sehen. Danach waren sie bereit, sich fotografieren zu lassen.“ Und sie wollen dabei ihre Anstaltskleidung tragen. „Das hätte ich nie verlangt, aber sie wollten es“, betont Toscano. Unterstützung gab es auch von der Aktion Sühnezeichen. „Von dort bekam ich Kontakte nach Moskau und Kiew“, erzählt Toscano. Im Januar reiste er nach Moskau. Ein alter Freund half ihm dort bei der Organisation und fungierte als Übersetzer. 43 Männer und Frauen, meist ehemalige Zwangsarbeiter, fotografierte er. Einige erzählten ihre Geschichte auch vor der Kamera, denn begleitend zu der Fotoinstallation soll auch eine filmische Dokumentation entstehen. Die Idee kam Toscano, als er Sofia Samoylova kennenlernte. Sie hatte den Besuch der polnischen Zwangsarbeiter in Mannheim mit ihrer Kamera begleitet. Besonders beeindruckt hat den Fotografen die Begegnung mit Alexandr Skryl. Denn es stelle sich heraus, dass er als Zehnjähriger als Zwangsarbeiter in einer Kesselwagenfabrik in Mannheim-Rheinau schuften musste. Über die Berliner Außenstelle nahm Toscano außerdem Kontakt mit dem Leo-Baeck-Institut in Haifa auf. Im Februar flogen der der 42-Jährige zusammen mit Sofia Samoylova nach Israel und traf in der Mannheimer Partnerstadt Haifa Überlebende des Holocaust – darunter auch die aus Mannheim stammende Amira Gezow, die als Elfjährige ins Konzentrationslager nach Gurs verschleppt worden war. Mittlerweile sind es über 70 Protagonisten, und es werden noch mehr. Die jüdischen Gemeinden in Frankfurt und Köln unterstützen das Projekt, und in Kürze reisen Fotograf und Filmemacherin nach Kiew. „Das ist natürlich alles ziemlich kostspielig“, gibt Luigi Toscano zu bedenken. Deshalb ist er froh, dass das Kulturamt Mannheim, die Baden-Württemberg Stiftung und ein Privatsponsor sein Projekt unterstützen. Nicht alle Porträts werden Platz an den Fenstern der Alten Feuerwache finden. Deshalb wird es einen Bildband geben – ebenso wie ein Begleitprogramm mit Lesungen, Konzerten und Vorträgen von Zeitzeugen. Die Ausstellung soll ab September zu sehen sein, der genaue Termin steht noch nicht fest. Auch in Moskau und Haifa ist man an der Installation interessiert. „Doch ich konzentriere mich erst mal auf Mannheim.“

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