Ludwigshafen Ganz schön laut im Klassenzimmer

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Wenn die Schule nicht ins Theater kommt, muss das Theater eben in die Schule gehen. Nach diesem Motto verhält sich die Junge Oper des Nationaltheaters, deren Stück „Lauschangriff“ jetzt in der Erich-Kästner-Schule in Mannheim Premiere hatte. Bei dem Zwei-Personen-Stück zur Hörerziehung führte Andrea Gronemeyer Regie. Es ist die letzte Inszenierung der scheidenden Schnawwl-Intendantin.

Eben hat die Lehrerin der Klasse 4c noch ein paar Mathehefte eingesammelt, da geht die Tür auf. Eine Frau und ein Mann in weißen Kitteln betreten unangemeldet das Klassenzimmer. Wichtigtuerisch protokolliert die Frau die Klasse, den Namen der Lehrerin und das Datum des heutigen Tages. Es sind Frau Dr. Sauerfurth-Ludenwurg und ihr Assistent Mörg vom Mannheimer „Lauschgift“-Dezernat. Sie haben den Auftrag, das Klassenzimmer auf seine Geräuschtauglichkeit zu überprüfen. Am Ende wird Frau Doktor der Lehrerin ein Zertifikat aushändigen. Bis es soweit ist, erwartet die Klasse eine abwechslungs- und lehrreiche Schulstunde. Anfangs messen die angeblichen Mitarbeiter der Behörde einzelne Geräusche: Türknallen 98 Dezibel, Tischrücken sogar 104. Die Kinder halten sich die Ohren zu. Dann probieren sie aus, was zu hören ist, wenn alle mucksmäuschenstill sind: ein Laubsauger draußen und ein Grundrauschen. Die beiden Prüfer schlagen auch mal Hölzer aufeinander und tanzen dazu synchron durchs Zimmer. Zur Freude der Kinder klettern sie sogar auf den Tisch der Lehrerin. Dann werden mehr und mehr die Kinder in die Untersuchung einbezogen. Ein Junge muss hupen, wenn er nicht mehr hört, was der leiser und leiser werdende Mörg spricht. Alle dürfen sagen, was sie verstanden haben, wenn die schneller und schneller redende Frau Dr. Sauerfurth-Ludenwurg loslegt. Die Geschwindigkeit steigert sie von 3,9 auf 8,2 Silben pro Sekunde. Dann dürfen die Kinder versuchen, die Geräusche, die ein auf der Tischplatte geriebener Gummiball macht, in ein Wort zu fassen. Manche hören ein Erdbeben, andere Walgeräusche oder einen Furz. Am Ende geben alle ein Konzert. Die Klasse wird in vier Gruppen geteilt. Ein auf dem Tisch geriebenes Lineal klingt wie Wind, Scheren-Klappern wie Vogelgezwitscher. Aneinandergeschlagene Bleistifte sind Regentropfen, ein Blatt Papier ist das Rascheln von Blättern im Herbstwind. So lässt sich eine „Sinfonie“ spielen, die ein heraufziehendes und wieder abziehendes Gewitter imitiert. Die Kinder haben viel Spaß an der außergewöhnlichen Unterrichtsstunde. Simone Oswald als Frau Dr. Sauerwurth-Ludenwurg und Peter Hinz als Mörg, beide ausgebildete Musiker und Schauspieler, lassen bei ihrem clownesken Auftritt didaktische Absichten völlig vergessen. Ein kognitives Lernziel steht so auch nicht aufdringlich an erster Stelle, auf Bauchgefühle wird mehr Wert gelegt als auf den Kopf. Begriffe wie Dezibel werden in den Raum gestellt, nicht erklärt. Die Kinder bekommen aber bereits mit, dass Geräuschmessung viel mit Physik, Musik viel mit Mathematik zu tun hat. Außerdem können sie anhand der verwendeten Lautgedichte von Oskar Pastior Parallelen zwischen Musik und Sprache erkennen, aber auch, wie schwer es ist, ein Geräusch in ein Wort zu fassen. Andrea Gronemeyer, die „Lauschangriff“ zusammen mit Johannes Gaudet als musikalischem Berater entwickelt hat, fügt noch einen Lerneffekt hinzu. „Die Kinder lernen zuzuhören. Auch manche Erwachsene verstehen ja nur, was sie hören wollen.“ Mit der kleinen Produktion „Lauschangriff“ nimmt die Regisseurin und Intendantin des Schnawwl nun Abschied von Mannheim. Sie bereitet schon die nächste Spielzeit am Münchner Theater der Jugend „Schauburg“ vor, wohin sie mit Ablauf dieser Spielzeit wechseln wird. Noch Fragen? Die mobile Produktion „Lauschangriff“ der Mannheimer Jungen Oper tritt auch in Grundschulen außerhalb Baden-Württembergs auf. Nähere Informationen unter Telefon: 0621/1680300.

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