Ludwigshafen Frust auf der Tribüne

«Eisenberg/Ludwigshafen.» Friedhelm Jakob wirkt eigentlich nicht wie einer, der zu spontanen Wutsausbrüchen neigt. Der 66 Jahre alte Präsident des Pfälzer Handball-Verbands (PfHV) war bis zu seinem Ruhestand 2013 Dekan in Speyer – und wenn man heute mit ihm spricht, ist da noch immer eine gewisse priesterliche Besonnenheit in seinen Worten zu hören. Sein jüngster Beitrag auf der Facebook-Seite des PfHV lässt deshalb umso mehr aufhorchen. Es ist ein flammender Appell, eine Brandrede, die der ehemalige Gottesmann da mit gar nicht so christlicher Rhetorik einleitet: „Es ist zum Kotzen. Zu Beginn der Fastenzeit ein solch drastisches Wort des Präsidenten – wohl kaum zu ertragen. Aber anders kann ich meinen Gemütszustand nicht beschreiben“, schreibt Jakob. Was den Präsidenten so erregt hat, ist zumindest auf den ersten Blick nichts Neues. Es geht um Fair Play im Jugendhandball und um einfachste Grundregeln des Anstands in den Sporthallen, die laut Jakob aber immer und immer wieder missachtet werden. Allerdings nicht von den jungen Spielern auf dem Feld, sondern von ihrem Anhang auf den Zuschauerrängen. Man kennt das aus dem Jugendfußball, wo sich überehrgeizige Eltern vermehrt zu Freizeithooligans wandeln und die Gegner ihrer Neunjährigen in Grund und Boden schreien. Nur hat der Handball dagegen lange das Image des Saubermannsports gepflegt. Schiedsrichterbeleidigungen und andere Ausfälle hatten in den Hallen zumeist Seltenheitswert. Bröckelt dieses Bild nun langsam? Ein Anruf beim Präsidenten. „Ich bekomme jedes Wochenende bis zu drei Vorfälle im Jugendbereich geschildert“, sagt Jakob. „Und was ich da zu hören bekomme, ist einfach unterste Schublade.“ Er berichtet von Fällen, in denen jugendliche Schiedsrichter weinend in ihrer Kabine saßen, nachdem ihnen Eltern bis dorthin gefolgt waren und sie bedrängt hatten. In denen ein Zuschauer einem ebenfalls noch jungen Unparteiischen nach einer Partie mit dem Auto gefolgt sei. Oder in denen C-Jugend-Spielerinnen das ganze Spiel über von der Tribüne wegen ihres Äußeren beleidigt worden seien. Jakob versteht angesichts solcher Szenen die Welt nicht mehr. Und seiner Einschätzung nach sind es keine Einzelfälle: „Das summiert sich ganz klar.“ In seinem Facebook-Beitrag formuliert er es so: „Kann man einen Verein ausmachen? Keineswegs. Die Unflätigkeiten gehen quer durch alle Hallen.“ Manchmal erhält er eine Beschwerde von einem Verein und stellt dann fest, dass dieser selbst schon aufgefallen war. „Die Vereine sollen daher in ihrem eigenen Stall kehren“, rät Jakob. Es ist vor allem die Situation der Nachwuchsschiedsrichter, die dem PfHV-Präsidenten Sorgen macht. Schon jetzt gibt es zu wenige junge Unparteiische. Aber wer will schon als 13-Jähriger die Pfeife in die Hand nehmen, wenn es von draußen nur Beleidigungen hagelt? „Einerseits beschweren sich die Vereine, dass der Verband nicht genug Schiris stellt. Andererseits habe ich hier immer wieder junge Leute, die nach wenigen Partien sagen, das gebe ich mir nicht mehr. Und ich kann sie da verstehen.“ Jakobs Text hat in den sozialen Netzwerken hohe Wellen geschlagen. Über 100.000 Aufrufe hatte der Beitrag bis gestern – ungekannte Dimensionen auf der Facebook-Seite des Verbands. „Wir bekommen auch aus vielen anderen Landesverbänden und Sportarten Zustimmung“, sagt Sandra Hagedorn von der PfHV-Geschäftsstelle. Nur: Wenn alle offenbar der gleichen Meinung sind, warum existiert das Problem überhaupt? Nachfrage an der Basis, in den Klubs. Gerhard Kühnle ist Leiter der männlichen Jugend bei der HSG Eckbachtal. Seiner Aussage nach hat es bisher keine Probleme mit den Anhängern des eigenen Vereins gegeben. „Man sollte sich als Elternteil darüber im Klaren sein, um was es geht. Die Kinder wollen Spaß haben und Handball spielen. Aber manche Eltern schießen übers Ziel hinaus.“ Der TV Hochdorf saß in der Vergangenheit schon auf der „Anklagebank“. Doch der Verein hat reagiert. 2014 wurde der Biberkodex erlassen. Darin ist klar geregelt, wie sich Spieler, Trainer und Eltern zu verhalten haben. Vor Kurzem gab es beim TVH einen Elternabend, in dem korrektes Verhalten aller Beteiligten thematisiert wurde, sagte TVH-Jugendkoordinator Nik Dreyer. „Man meint manchmal, das hat nichts mehr mit Jugendhandball zu tun“, sagt Dreyer. Er teile die Ansicht von Jakob und sagt: „Die feine englische Art gehört im Jugendhandball dazu.“ Bei den VTV Mundenheim haben sie aus leidvollen Beispielen gelernt. Vor einem Jahr sei ein Vater ausgetickt und einem Jugendschiedsrichter bis vor dessen Kabine gefolgt, erzählt Abteilungsleiter Eric Neßling. Der Verein hat daraus seine Lehren gezogen und laut Neßling vereinbart, dass in solchen Fällen ein Hausverbot ausgesprochen werde. Grundsätzlich legen die VTV Wert auf faires Verhalten. Deshalb wurde ein Verhaltenskodex ausgedruckt und in der Halle ausgehängt. Auch werden die Trainer damit in die Pflicht genommen, betont Neßling. Denn: „Die Trainer kennen die Eltern der Jugendlichen am besten“, sagt Neßling. Er gibt zu, dass die VTV Mundenheim das Problem im Verein haben, dass sich Eltern auf der Tribüne daneben benehmen. „Erleben wir so etwas live, dann knöpfen wir uns die Eltern vor. Wir versuchen, das zunächst auf die diplomatische Art zu lösen“, sagt der VTV-Abteilungsleiter. Bei der JSG Ruchheim/Mutterstadt hat die Abteilungsleitung um Andreas Schneider auch schon pöbelnde Eltern zitiert und sie gemaßregelt. „Wir haben keinen Verhaltenskodex. Wenn Eltern etwas unterschreiben müssen, dann hält das sicherlich für eine gewisse Zeit. Aber das ist doch eher eine Frage des Charakters“, sagt Schneider. Auch die Spielgemeinschaft veranstaltet Elternabende. Da ist laut Schneider die Abteilungsleitung dabei und spricht dieses Thema an. Bedauerlich findet es Schneider, dass Mutterstadt vor Jahren eine Aktion gestartet hatte, um Jung-Schiedsrichter zu werben. Von den vier oder fünf, die damals kamen, ist einer übrig geblieben. „Die anderen Jungschiedsrichter haben wegen dieser Anfeindungen aufgehört.“ Rückendeckung bekommt der Präsident also auch in den Vereinen. Aber wie soll sich etwas ändern, wenn die durch den Appell verursachte Aufmerksamkeitswelle erst einmal abgeebbt ist? Sandra Hagedorn verweist darauf, dass auf der Geschäftsstelle bereits Anfragen von Vereinen eingegangen seien, die künftig mit Plakaten oder Flyern in der Halle auf einen fairen Umgang hinweisen wollen. Jakob selbst will weiter jedem Vorfall nachgehen und wenn möglich die verantwortlichen Vereine mit Geldstrafen an ihrer empfindlichsten Stelle treffen. Dass er damit den richtigen Weg gewählt haben könnte, unterstreicht die Aussage des Eckbachtalers Gerhard Kühnle. „Geldstrafen sind ein Mittel, um die Vereine dazu zu bewegen, gegen die schwarzen Schafe auf der Tribüne vorzugehen. Sie haben die Hoheit in der Halle und müssen schauen, dass der Laden läuft.“ Bei der HSG oder anderen Vereinen wie dem TV Hochdorf gebe es vor jeder Saison Elternabende, bei denen solche Themen besprochen würden. „Zustände wie im Fußball will keiner“, betont Kühnle.

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