Ludwigshafen Fanforscher zu Anfeindungen im Fußball: „Hemmschwelle sinkt“

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sind mehreren Spielern Hasskommentare im Internet bis hin zu Morddrohungen entgegengeschwappt. Warum tun Fans so etwas? Warum geschieht so etwas fast nur bei großen Turnieren und weniger in der Bundesliga? Ein Gespräch mit Professor Harald Lange, Leiter des Instituts für Fanforschung in Würzburg, über mögliche weitere Eskalationen, Strategien des DFB und die törichte Aktion der Fans des SV Waldhof Mannheim.
Auf jeden Fall. Da kommen Spieler aus aller Welt mit unterschiedlichen Fankulturen und unterschiedlichen Stellenwerten, die Nationalmannschaften in den jeweiligen Ländern haben, zusammen. Da sind dann Gruppen dabei, die mal leidenschaftlicher, mal weniger leidenschaftlich sind. Dann gibt es immer wieder Ereignisse, die deutlich über das Maß hinausgehen und nicht zu tolerieren sind. Es sind auch nicht immer die gleichen Nationen, die auffallen. Ist da in gewisser Weise nicht auch die überbordende Kommerzialisierung mit verantwortlich? Gerade die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird bis ins letzte Detail vermarktet. Der Fan steht da doch nicht mehr im Mittelpunkt. Man darf das nicht mit den Morddrohungen und Diskreditierungen von Fußballern verwechseln, die Schlüsselszenen vergeigt haben. Aber: Das sind zwei Sachen, die auf einer gewissen Ebene zusammenhängen. Die wäre? Überall ist die Vermarktung spürbar, speziell in Deutschland. Da kann man vor einer Turbo-Vermarktung sprechen, die so rasant, so aggressiv und weit weg von Fan-Kultur ist. Den Fans fällt es da schon schwer, sich damit zu identifizieren. Es geht nicht mehr um ein Spiel, die Faszination eines Spiels, sondern es geht in aller erster Linie darum, mit dem Image Profit zu machen. Das Faszinosum des Fußballs wird dem ganz klar untergeordnet. Wie kann man die Missstände lösen? Wenn man einmal damit begonnen hat, ist es schwer, den Weg wieder zurückzugehen. Die verantwortlichen Akteure sind ja noch da. Man kann etwas versuchen, am Image zu feilen. Man wird versuchen, eine neue Scheinheiligkeit einzuführen, diesen Kommerz etwas unklarer zu gestalten. Aber das ist so fest in diesem System verankert. In Deutschland wird sich da nichts ändern. Sinkt die Hemmschwelle für solche Drohungen? Es werden Grenzen überschritten. Dieses Phänomen lässt sich darauf zurückführen, dass die ganze Fußball-Welt virtueller wird. In unseren Köpfen und Herzen schwebt ein virtuelles Bild vom Fußball, von dem wir nicht wissen, ist das alles echt oder sind das Kunstfiguren? Hinzu kommt, dass die Spieler wenig Kontakt zu den Fans pflegen. Diese virtuelle Welt sorgt dafür, dass die Hemmschwelle sinkt. Heraus kommen solche Hasskommentare. Da sind einige dabei, die wissen nicht, was sie tun. Haben Sie da eine Verrohung der Sitten festgestellt in Ihrer Forschung oder wird das alles nun mehr ans Tageslicht gebracht wegen der WM? Durch die WM ist das alles etwas extremer ans Tageslicht gefördert worden. Eine Verrohung ist mir jetzt nicht aufgefallen, sondern es ist ambivalent. Es ist eine deutliche Zunahme von oberflächlicher Emotionalität. Das sind Stars, die medial geschaffen sind. Darauf lassen sich die Fans positiv überschwänglich ein. Auf der anderen Seite diskreditieren sie, bedrohen sie. Aber diese negativen Begleiterscheinungen sind nicht nachhaltig. Die ganze Fußball-Kultur ist auf der Ebene der Nationalmannschaft unverbindlicher, fragiler geworden. Und die Ebene der Marketing-Strategie zielt auf das schnelle Geld ab. Haben Sie herausgefunden, welche Fans da besonders aktiv sind? Es gibt unterschiedliche Fangruppen – der normale Fan bis hin zum Ultra. Wie unterscheiden die sich in ihrer Kommentierung? Die unterscheiden sich natürlich, wobei man grundsätzlich zwischen Fans der Nationalmannschaft und Fans der Bundesliga-Teams unterscheiden muss. So gibt es beispielsweise bei der deutschen Nationalmannschaft keine Ultras und auch nur ganz wenige wirkliche eingefleischte Fans, die aus Tradition da hingehen und denen das spielnahe Erlebnis wichtig ist. Im Gros hat sich das seit 2006 so entwickelt, dass unheimlich viele Fantouristen, Eventfans, Unterhaltungsfans entstanden sind, die sich immer alle zwei Jahre zur EM und WM versammeln und feiern wollen. In diesem Jahr war das Feiern ausgeblieben, die große Depression ist auch ausgeblieben, weil niemand so emotional und so fest dran gebunden ist, dass er jetzt daraus eine Krise entstehen ließe. Sie sprachen jetzt von Nationalmannschafts-Eventfans und Anhänger der Liga-Teams. Ist in den Ligen der Hass bei den Kommentierungen weniger ausgeprägt? Es ist weniger ausgeprägt. Da sind die nachhaltig, leidenschaftlich gebundenen Fans klar in der Überzahl. Es ist auch ein Spielbetrieb, der wöchentlich über einen längeren Zeitraum geht und man als Fan alles gut mitverfolgen kann. Da ist man bei allen Höhen und Tiefen dabei, leidet mit, wenn es einmal nicht so läuft, bekommt viele Informationen und kann das alles kontinuierlich, authentisch verfolgen. Auf der Ebene der Nationalmannschaft gibt es nur diese beiden großen Wettbewerbe und dazwischen eher bedeutungslose Freundschaftsspiele. Es kann keine Bindung aufkommen. Da hat man ein ganz anderes Publikum. Eingefleischte Klubfans verpönen es, zu Länderspielen zu gehen. Das ist eine ganz andere Welt. Der DFB hat diese Oberflächlichkeit mit der Kreierung „der Mannschaft“ bis ins Lächerliche getrieben. Wird so etwas weitergehen und gegebenenfalls eskalieren? Das wird weitergehen. Der DFB kann solche Kritik nicht aufnehmen und in Reformen umsetzen. Sie sitzen solche Kritik aus und haben in vielen Bereichen den Kontakt zum Zuschauer sowie zur Jugend verloren. Das wäre eine enorme Aufgabe, da einmal eine Reflexion einzuleiten. Vor Wochen haben Ultras des SV Waldhof Mannheim im Aufstiegsspiel zur Dritten Liga gegen Uerdingen einen Spielabbruch provoziert. Nun wurde der Verein dafür mit 40.000 Euro und einem Drei-Punkte-Abzug in der neuen Runde bestraft. Warum tun Fans so etwas? Das ist ein Beispiel für extreme Destruktivität. Das widerspricht ja dem eigentlichen Fandasein. Man muss das Ergebnis so hinnehmen wie es ist. Man kann keinen Einfluss darauf nehmen. Einen Spielabbruch zu provozieren ist, massiv Einfluss nehmen. Das sind aber zum Glück Einzelfälle. Die Methode, die da angewandt wurde, ist in den verschiedenen Fankreisen auch negativ stigmatisiert worden. Es gibt andere und weitaus wirksamere Formen des Protests. Was kann der Verein dagegen wirksam tun? Das Beste ist, eine gute Fanarbeit zu machen, also nahe an den Fans zu sein, Fans einzubeziehen, zu beteiligen, transparent zu sein und auch Entscheidungen zu treffen, die zur Fankultur passen. Es geht eben nur, wenn man für die Fans ein offenes Ohr hat. Warum passieren solche Dinge nur im Fußball? Im Handball, Eishockey oder Basketball hat man den Eindruck, das Publikum ist gesitteter. Die Fußball-Kultur ist gewachsen. In den USA passieren solche Gewaltausbrüche und Entfremdungsprozesse nicht. In Europa ist das historisch gewachsen. Man kann es nicht vom Spiel aus erklären aufgrund irgendeiner Dynamik und Dramatik. In anderen schnellen Sportarten wie Handball oder Eishockey ist das noch viel schneller. Im Fußball will man nur gewinnen, das Gemeinschaftserlebnis haben und das danach diskutieren, schimpfen oder Frust ablassen. Dafür ist Fußball doch wunderbar geeignet, weil Fußball einfacher ist als Handball. Jeder kann sofort mitreden. Das ist in anderen Sportarten nicht so einfach.


