Ludwigshafen Er ist wieder da

Thilo Sarrazin bei der Buchvorstellung am 30. August in Berlin.
Thilo Sarrazin bei der Buchvorstellung am 30. August in Berlin.

Einen eindeutigen Spitzenreiter weist die regionale Bestsellerliste im August nicht auf. Gut verkauft hat sich weiterhin Jean-Luc Bannalecs Krimi „Bretonische Geheimnisse“. Aber auch Frank Schätzings Science-fiction-Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“, Mona Kastens Roman „Save Me“ um Geld und Glamour sowie Christian Habekosts „Gebrauchsanweisung für die Pfalz“ waren recht gefragt.

Thilo Sarrazin steht nicht auf der regionalen Bestsellerliste. Noch nicht. Denn „Feindliche Übernahme“ wurde erst am vorletzten Augusttag mit einer Erstauflage von 120.000 Exemplaren ausgeliefert. Sein Buch wird aber im September sicher auch die hiesigen Bestsellerlisten erobern. Sofort nach dem Erscheinen schoss es nämlich auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste Sachbuch. Und diese gewaltige Nachfrage bleibt nicht auf Deutschland beschränkt, sondern gilt auch für Österreich und die Schweiz. Das Buch hat eine kostenlose Vorabwerbung erfahren wie selten eine Neuerscheinung. Bereits mehrere Wochen vor der Auslieferung distanzierte sich Random House, wo Sarrazins frühere Bücher herausgekommen sind, von dessen jüngstem Elaborat, weigerte sich, es zu drucken, und begründete die Ablehnung mit „antimuslimischen Ressentiments“. Sarrazin verklagte Random House daraufhin wegen Rufschädigung und fordert über 800.000 Euro Schadenersatz. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, das Münchener Landgericht arbeitet noch an einem Vergleichsvorschlag. Sarrazins Buch jedoch ist pünktlich Ende August, wie ursprünglich vorgesehen, auf den Markt gekommen, nur eben im Finanzbuch Verlag. Verstärkt wurde die Werbung durch eine lange vor dem Erscheinen einsetzende Aufmerksamkeit in Massenmedien. Die „Bild“-Zeitung befeuerte die Gerüchteküche, indem sie titelte „Keine Angst vor neuem Sarrazin-Buch“ und sich gleich in der Überschrift über Sarrazins Parteifreunde mokierte: „Genossen erwägen Partei-Ausschluss, dabei kennen sie den Text noch gar nicht“. Der Ruf nach einem Parteiausschluss des SPD-Mannes, der es dank seiner Partei bis zum Berliner Finanzsenator und Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank gebracht hatte, aber mit seinen Thesen über Integration, Ausländer und den Islam besser in einer ultrarechten Partei aufgehoben wäre, ergeht jetzt freilich nicht das erste Mal. Vor sieben Jahren, nach Sarrazins Ausstieg aus der Politik und nach dem Erscheinen seines provozierenden Buches „Deutschland schafft sich ab“, gab es zwei Versuche, ihn aus der Partei zu werfen. Nur Andrea Nahles’ Unentschlossenheit rettete ihm damals offenbar den Kopf. Heute reist die SPD-Parteivorsitzende durch die Lande und wettert gegen den rechten Mob, wie erst kürzlich beim Pfalztreffen ihrer Partei in Pirmasens. Sarrazin selbst wendete den Parteiausschluss ab, indem er hoch und heilig versicherte, künftig keine Migranten mehr zu diskriminieren und keine sozialdemokratischen Grundsätze mehr zu verletzen. „Feindliche Übernahme“ zeugt vom Gegenteil. Schon der Titel ist nur die Kehrseite dessen, was das frühere Buch suggerierte: die Selbstabschaffung Deutschlands. Aggressiver noch als das ältere Buch, legt bereits der Titel des neuen unversöhnliche Feindschaft zwischen Teilen der Gesellschaft, ja Krieg nahe. Nur schlüssig ist so Sarrazins in dem Buch erhobene Forderung, Migranten notfalls mit militärischer Gewalt abzuschieben. Der Untertitel ist nicht minder verräterisch: „Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Zumindest der zweite Teil ist geeignet, diffuse Ängste zu schüren. Das Buch trägt jedenfalls nicht zu einer friedlichen Gesellschaft bei. Sarrazins Thesen ist von Islam-Wissenschaftlern deutscher Provenienz, Kriminologen und anderen Experten heftig widersprochen, seine Berufung auf dubiose Quellen kritisiert worden. Was aber an seiner Argumentationsführung insgesamt nicht nur Anstoß erregt, sondern das Buch gefährlich macht und es in die Nähe von Gewährsleuten des Faschismus rückt, ist folgendes: Sarrazin erklärt historisch-gesellschaftliche Probleme biologisch-genetisch. Das eklatanteste Beispiel dafür ist die These, Moslems wiesen eine geringere „kognitive Kompetenz“ auf, zu Deutsch: Sie seien dümmer. Da ist die anmaßende Arroganz von der Überlegenheit einer Rasse nicht fern. Von der anderen Seite, aus der Sicht der Deutschtürken, beleuchtet Integrationsprobleme die junge Deutschtürkin Tuba Sarica in ihrem Buch „Ihr Scheinheiligen!“, das im Buchladen Gartenstadt sehr gefragt war. „Eingedeutscht“, so die Autorin, gilt in der Parallelwelt der Deutschtürken als Schimpfwort. Das lässt an einen Auftritt des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland denken, noch bevor er aus seinem Land eine Ein-Mann-Diktatur gemacht hatte. Damals forderte er seine hier lebenden Landsleute auf, sich der Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu widersetzen. Unterdessen schickt Timur Vermes, der mit seiner auch verfilmten Satire „Er ist wieder da“ über einen telegenen Hitler-Wiedergänger vor sechs Jahren einen Bestseller landete, in seinem neuen Roman „Die Hungrigen und die Satten“ einen aus 150.000 Menschen bestehenden Flüchtlingstreck bis an Deutschlands Grenze. Sein Buch versucht, die Mechanismen des politischen Populismus offenzulegen. Melina Nußhag, Leiterin der Thalia-Filiale auf den Mannheimer Planken, empfiehlt das eben erst erschienene Buch „Königskinder“ von dem in der Schweiz lebenden Franzosen Alex Capus. Auf einem verschneiten Alpenpass bleibt das Ehepaar Max und Tina mit dem Auto stecken. Damit die Zeit vergeht, beginnt Max die Geschichte des Hirtenjungen Jakob zu erzählen. Immer wieder einmal wird er von seiner Frau unterbrochen, die seine Erzählung hinterfragt. „Es ist einfach wunderschön, die beiden zu beobachten, wie sie sich kabbeln“, meint Melina Nußhag. „Der Leser merkt, dass es sich um wahre Liebe handelt.“ Capus verstehe es, wunderbar romantisch zu schreiben, ohne jemals kitschig zu werden. Seine Sprache sei nicht zu leicht, nicht zu schwer, sehr unaufgeregt und zwischendurch von feinem Humor durchzogen.

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