Ludwigshafen Ein Seelenhirte wie ein Popstar
Das Oststadttheater präsentiert im Kahnweilersaal als letzte Premiere vor dem Umzug nach N 1 die Komödie „Der Vogel lässt das Singen nicht“. Das ist ein intelligenter, manchmal durchtriebener, manchmal etwas gröberer Spaß.
Der Vogel ist ein Pfarrer, der zu Bestattungen selbstgedichtete Moritaten singt. Für die Kirche ist das ein Ärgernis. Ein Domkapitular wird entsandt, um den Unbotmäßigen zur Räson zu bringen. Doch alle theologischen, ästhetischen, moralphilosophischen Argumente rennen gegen einen Popularhirten an, der sich seiner Schäfchen sicher ist. Die schwäbische Komödie, die der 1975 verstorbene Alfred Weitnauer vor Jahrzehnten geschrieben hat (sie war einmal ein Fernseherfolg), geht auf eine historische Person zurück, den Pfarrer Ritter Michael von Jung, der zu seiner Zeit – er lebte von 1781 bis 1858 – eine Art Popstar war. Jörg Ehni, Theatermacher in Herrlingen bei Ulm, schrieb dazu ein Vorspiel. Knut Frank arbeitete alles ins Kurpfälzische um. Regisseurin Petra Förster brachte Kritik und Schrulligkeit überzeugend zueinander und die krimiartige Wendung, die das Ganze nimmt, auf den Punkt. Wenn der Domkapitular zum ersten Mal durch den Vorhang lugt, prustet das Publikum los. Von original „Stolzenberg“ wurde er auf „van Elstenberg“ umgetauft, und Thomas Koob sieht mit seinen weit aufgerissenen erstaunten Augen wirklich fast wie jener Oberhirte aus, der sich ins Gerede gebracht hat. Van Elstenberg ist allerdings eine durch und durch honorige Person und vom Ordinariat Speyer entsandt, um einem würdelosen Treiben ein Ende zu setzen. Im Flecken „Seggenem“ ist er vor knapp 200 Jahren ebensowenig gern gesehen, wie es ein Heutiger wäre, der erstens pointiert Hochdeutsch spricht und zweitens den Einheimischen vorschreiben will, was sie für würdig halten sollen. Das Stück besteht aus dem Gespräch zwischen wortreich anklagendem Domkapitular und wortkarg zurückschlagendem Pfarrer. Die derbe Haushälterin, Susanne von Grumbkow, sorgt darin für Unruhe. Der enthusiastische, naive Schulmeister, Wolfgang Kerbs, setzt komische Lichter auf. Die Szene beherrscht der Domkapitular. Schon seine so hilflosen wie arroganten Probleme mit dem Pfälzischen lassen das Publikum vor Lachen quietschen. Er hat die meisten Worte, und die platziert er in kirchenamtlich verquasten Sätzen. Aber er hat auch die sprechendste Mimik und Gestik samt verräterischer Gänge und vielsagender Blicke. Er ist eine rundum pralle Bühnenfigur, und das macht es Thomas Koob leicht, das Publikum zu erobern. Gegen den aktuell so passenden Eiferer wirkt Kontrahent Knut Frank von der Regie ein wenig alleingelassen. Wer ist dieser Michael von Jung, den er hier und jetzt spielen soll? Ein Superstar jedenfalls nicht, eher ein unscheinbarer bodenständiger Mannheimer. Er ist schlagfertig, meist lakonisch mit einem Hang zur Bärbeißigkeit. Wenn er eine vom Domkapitular als literarisch minderwertig geschmähte Grabszene von Schiller deklamiert, läuft er zu Wortgewalt auf. Er lässt seine lockeren Grabliedchen für sich sprechen. Von Haushälterin und Schulmeister werden sie auf die Melodien populärer Spaßlieder geschmettert. Die treffsicheren Erklärungen, die der Pfarrer für sie findet, hallen jedoch im Zuschauer unbefriedigend nach und fügen sich kaum zu einer Einheit der Person. Zudem führt sich Jung ritter- und ordensstolz auf, obwohl er nur ein gelernter Schneider ist. Zum Schluss entwickelt er gar einschüchternde Züge, die den Domkapitular vom Jäger zum Gejagten machen. Das Publikum freut es, und vergnüglich ist es allemal.