Sommer-Interview „Die Buga wird die Region verändern“

„In der Kultur ist es unsere Pflicht, nicht in einem luftleeren Raum zu agieren. Wir müssen Fragen stellen und Diskurse mit Rele
»In der Kultur ist es unsere Pflicht, nicht in einem luftleeren Raum zu agieren. Wir müssen Fragen stellen und Diskurse mit Relevanz anstoßen. Für wen es keine Relevanz hat, dass 1500 Kilometer entfernt Leute abgeschlachtet werden, der hat ein Charakterproblem. Das muss und wird Einfluss auf das Buga-Programm haben«, sagt er zum Krieg in der Ukraine.

Eigentlich Wiener, aber irgendwie auch Mannheimer und Ludwigshafener: Fabian Burstein, der Kulturchef der Buga 23, erzählt im Gespräch mit Steffen Gierescher, warum die Schau das Umland prägen wird, wo seine Sehnsuchtsorte sind und warum er ein neurotisches Verhältnis zu seiner Heimatstadt hat.

Udo Jürgens war noch niemals in New York und auch nicht auf Hawaii – gibt es für Sie Sehnsuchtsorte, die Sie noch nie bereist haben?
Ja. Im Prinzip sind das ganz viele Orte in Amerika. Ich habe mit meiner Frau vereinbart, dass wir uns, wenn wir in Pension sind, ein Wohnmobil mieten und die USA von Osten nach Westen durchqueren.

Klingt nach Route 66.
Zum Beispiel. Es geht mir aber weniger um konkrete Orte, sondern eher um ein Gefühl.

Woher kommt das, warum die USA?
Ich war einmal in Los Angeles. Das war eines der schönsten Erlebnisse überhaupt. Ich dachte, ich bin ein abgebrühter Typ, aber das hat mich unerwartet gepackt. In den USA kumulieren so viele Dinge. Hier ist die Wiege des Entertainment. Dann sind da Themen wie Freiheit, die bemerkenswerten demokratiepolitischen Entwicklungen, aber auch die besondere Rolle der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg. Mal abgesehen von Auswüchsen wie Donald Trump ist das ein faszinierender Ort. Ich bin ein fast schon kindischer Fan von Barack Obama. Seine Biografie habe ich verschlungen. Er ist für mich ein Prototyp dafür, dass dort Dinge passieren, die über Einzelpersonen und Einzelereignisse einen unglaublichen Hebel in Bewegung setzen, der weltpolitisch alles verändern kann.

Immer auf der Reise, weil er zwischen Wien und Mannheim pendelt: Fabian Burstein, Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms
Immer auf der Reise, weil er zwischen Wien und Mannheim pendelt: Fabian Burstein, Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms der Buga 2023. Er war auch vier Jahre lang in Ludwigshafen tätig.

Gäbe es wie im Raumschiff Enterprise die Möglichkeit, sich an einen anderen x-beliebigen Ort beamen zu lassen. Welcher wäre das?
Tel Aviv.

Warum?
Weil ich Tel Aviv liebe. Ich habe dort Familie. Für mich vereint Tel Aviv das Beste aus allen Welten: Strand, Urbanität, tolles Essen, fantastische Musik, eine atemberaubende Architektur, eine große Geschichte, das pralle Leben. Es ist ein Zufluchtsort des liberalen Israels.

Sie selbst leben überwiegend in einer Stadt, in der viele Menschen Urlaub machen. Was zeichnet Wien aus?
Ich habe ein neurotisches Verhältnis zu meiner Heimatstadt.

Vier Jahre lang war Burstein Chef im Ludwigshafener Kulturzentrum Das Haus.
Vier Jahre lang war Burstein Chef im Ludwigshafener Kulturzentrum Das Haus.

Und das heißt?
Zum einen weiß man, was man an dieser Stadt hat: Die Lebensqualität, der soziale Frieden, die Sauberkeit. Gleichzeitig verzweifelt man an den Umständen, die von hinterfotzigen, seilschaftsgetriebenen, intransparenten Mauscheleien geprägt sind. Das ist eine Art Hassliebe. Wien ist für mich Sehnsuchtsort und Abgrund in einem.

Und schon sind wir bei Ludwigshafen, das Sie ja auch aus Ihrer Zeit im Kulturbüro kennen. Mögen Sie LU?
Ich habe eine Herzensbeziehung zu Ludwigshafen. Ich war immerhin vier Jahre hier. Ich hatte irrsinnig viel Gestaltungsspielraum, habe viel Zugewandtheit erlebt und positive Arbeitsbedingungen vorgefunden. Die Leiter der Kultureinrichtungen waren eine zusammengeschweißte Einheit. Das alles legt man nicht ab, nur weil man den Job aufgibt. Davon zehrt man noch Jahre danach und kehrt gerne zurück.

Was schätzen Sie an LU?
Für mich ist Ludwigshafen eine faszinierende Working-Class-Hochburg, wo man besonders hart kämpfen muss. Aus diesen Spannungen entstehen besondere Inhalte. Nach meinem Abgang habe ich relativ schnell wieder in Wien RHEINPFALZ gelesen, weil ich ständig mitgefiebert habe, wie es hier weitergeht. Was passiert mit den Hochstraßen? Welche Turbulenzen gibt es? Wer übernimmt welche Position? Das verfolge ich bis heute sehr aufmerksam. Das Rheinufer, der Maffenbeier oder der Lutherplatz mit Pizzeria-Wirt Angelo – das waren für mich absolute Sehnsuchtsorte.

Gay-Pride-Parade in Tel Aviv. Burstein liebt die israelische Küstenstadt und ihr pralles Leben.
Gay-Pride-Parade in Tel Aviv. Burstein liebt die israelische Küstenstadt und ihr pralles Leben.

Aktuell hat sich eine politische Debatte entsponnen zum 2018 von einem TV-Satiremagazin an Ludwigshafen verliehenen Titel „Hässlichste Stadt Deutschlands“ und den dazugehörigen „Ugliest City Touren“. Wie beurteilen Sie das?
Ich finde dieses Ringen um Identität sympathisch. Selbstgefälligkeit produziert Stillstand. Eine latente Unzufriedenheit treibt – positiv interpretiert – eher an. Und Antrieb kann die Stadt gebrauchen. Sie befindet sich im Umbruch. Das ist definitiv so. Gleichzeitig sind klassische Arbeiterhochburgen wie Ludwigshafen, Glasgow oder Rotterdam authentisch. Sie hadern mit der Ästhetik oder der Rauheit. Das macht sie zu einer eingeschworenen Gemeinschaft und stattet sie mit einem eigenen Stolz aus. Ich empfinde diese Widersprüchlichkeit inklusive der Hässlichkeit als Privileg, weil hier nicht alles fertig ist. Natürlich ist es schön, durch einen Straßenzug zu gehen, der geleckt ist oder wo die Fassaden pittoresk sind. Aber hey, was willst du da noch verbessern?

Und Mannheim, Ihr Arbeitsort?
Mannheim ist zwar auch Arbeiterstadt, in seiner Identität aber breiter aufgestellt. Hier wirkt ein größeres Bürgertum und eine zahlenmäßig starke und vielfältige Studentenschaft. Die Kreativszene ist strukturell besser aufgestellt, wie auch die Wirtschaftsförderung. Bei der Stadtentwicklung setzt Mannheim bundesweit Maßstäbe. Die Purheit ist wiederum ein großer Vorteil von Ludwigshafen – hier ist alles sehr ehrlich und auf den Punkt.

Wohin geht die Reise mit der Bundesgartenschau?
Sie wird die Region enger zusammenschweißen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich nenne es das Kulenkampff-Momentum.

Welterklärer Obama: Burstein ist ein großer Fan des ehemaligen US-Präsidenten.
Welterklärer Obama: Burstein ist ein großer Fan des ehemaligen US-Präsidenten.

Und das bedeutet?
Alle werden bei der Buga gewesen sein und haben dadurch dasselbe Erlebnis. Dadurch entstehen ein kollektiver Anziehungspunkt und ein gemeinsames Gesprächsthema. So wie eben alle früher nach einer Kulenkampff-Show am nächsten Tag darüber gesprochen haben. Die Buga hat zudem eine massive Präsenz von regionalen Akteuren. Alle werden Auswärtsspiele haben, die gleichzeitig Heimspiele sind. Das macht sie zum Identifikationsfaktor, der die Region verändert.

Inwiefern?
Weil wir aus Buga-Städten wissen, dass die Besucherfrequenz ansteigt und nie mehr wieder auf das Niveau von vorher zurückfällt. Es werden mehr Menschen hierher reisen und sich dann die ganze Region anschauen. Diese Form von Austausch und Lebendigkeit wird allen nutzen. Für Gäste ist die Buga ein Areal, das es zu entdecken gilt. Für den Standort eine Inspirationsquelle, die einen Innovationswettbewerb auslöst, von dem Wirtschaft und Sozialstruktur profitieren werden.

Jetzt werden manche sagen: Na ja, der Burstein ist ja Teil der Buga. Was soll der anderes sagen. Das ist aber schon Ihre innere Überzeugung?
Absolut. Als ich nach Mannheim kam, war der Bürgerentscheid. Ich war weder auf der Pro- noch auf der Contra-Seite. Ich war zuständig für ein Kulturzentrum mit Jugendschwerpunkt. Mich hat interessiert, welche Standpunkte Jugendliche in die Debatte einbringen. Für diesen Prozess habe ich gebrannt. Dann gab es eine demokratische Entscheidung, die man akzeptieren muss. Für mich stellte sich danach sofort die Frage: Was kann ich auf den 100 Hektar für die Buga mitgestalten? Das ist eine unglaubliche Fläche und eine historische Chance. Der Druck auf städtebaulicher und kultureller Ebene ist sehr groß. Wir sind ständig unter Beobachtung, alles wird bewertet. Wenn man da nicht voll dahintersteht, knickt man ein. Es gibt keine Großbaustelle der Welt, bei der einem nicht auch mal der Atem stockt. Aber ich habe ein tiefes Urvertrauen, dass alles gut und auch rechtzeitig fertig wird.

Apropos Großbaustelle. Vor unserem letzten Treffen Anfang des Jahres gab es noch keinen Krieg in der Ukraine. Beeinflusst das Ihre Arbeit?
Klar. In der Kultur ist es unsere Pflicht, nicht in einem luftleeren Raum zu agieren. Wir müssen Fragen stellen und Diskurse mit Relevanz anstoßen. Für wen es keine Relevanz hat, dass 1500 Kilometer entfernt Leute abgeschlachtet werden, der hat ein Charakterproblem. Der Krieg muss und wird Einfluss auf das Buga-Programm haben.

„Ich habe eine Herzensbeziehung zu Ludwigshafen“, sagt Fabian Burstein.
»Ich habe eine Herzensbeziehung zu Ludwigshafen«, sagt Fabian Burstein.

Wie geht’s Ihnen persönlich damit? Kann man da unbeschwert dem Urlaub entgegenfiebern?
Das belastet mich natürlich auch. Ich habe zwei Kinder. Mein älterer Sohn ist neuneinhalb und wird mit dem Thema Krieg konfrontiert. Das macht natürlich auch was mit der Stimmung. Wir sind doch hoffentlich empathische Menschen. Ich sitze trotzdem am See und kasteie mich nicht selbst, das wäre mir etwas zu moralinsauer. Aber ich denke stets daran, dass ich ein „Lucky Bastard“ bin, dass ich genau das friedvoll tun kann. Trotzdem: Der Krieg fährt mit in den Urlaub.

Und wo geht’s hin?
Ein paar Tage nach Kärnten an den Katschberg – zum Kutschenfahren und zum Klettern. Das ist ein Ritual mit meinem älteren Sohn. Dann kommen mein Kleiner, der bald ein Jahr alt wird, und meine Frau nach und wir fahren an den Weißensee.

Ich weiß, dass Sie Fußball-Fan sind. Seit Kurzem trainiert mit Ralf Rangnick ein „Piefke“ Österreichs Nationalelf und hat – bisher jedenfalls – überzeugt. Wird das bei der EM 2024 in Deutschland ein Sommermärchen für Ihr Heimatland? Der WM-Zug wurde ja verpasst.
Wenn ich das einem zutraue, dann Rangnick. Ich muss allerdings dazusagen, dass mein Herz im Fußball eher für England schlägt, auch da habe ich viele Verwandte. Ansonsten gibt es für mich nur Rapid Wien.

Und die WM in Katar?
Werde ich nicht verfolgen. Es ist ein Skandal ungeahnter Größenordnung, dass man das Turnier dorthin vergeben hat. Man bekehrt mit solchen Ereignissen keine totalitären Regime. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist schamlose Propaganda. Es muss die letzte WM sein, die an einem solchen Ort stattfindet.

Zur Person: Fabian Burstein

Burstein ist 1982 in Wien geboren und hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaft studiert. Als Autor hat er Romane und Anthologien verfasst und ist Biograf der österreichischen New-Wave-Legende Hansi Lang. Seit 2013 hat sich Burstein als Kulturmanager in der Region einen Namen gemacht. In Mannheim führte er das Kulturzentrum Forum, 2016 wechselte er nach Ludwigshafen, wo er im Kulturbüro fürs Kulturzentrum Das Haus, die Kulturförderung und die kulturelle Stadtentwicklung sowie mehrere Festivals und andere Formate zuständig war. Im November 2020 wurde er zum Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms der Bundesgartenschau 2023 bestellt. Seit 2022 ist er auch Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen Akademie. Persönliche Gründe bewogen ihn, 2019 zwischenzeitlich zurück in seine Heimatstadt zu gehen, wo er mit seiner Frau und zwei Söhnen (9 und 1) lebt und nach Mannheim pendelt.

Zur Sache: Sommer-Interview

In den Sommermonaten sprechen wir mit Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen über Gott und die Welt, über Sehnsuchtsorte, Urlaubspläne, Berufliches und ihren Bezug zur Region.

aufmacher

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An dieser Stelle finden Sie Umfragen von Opinary.

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