Ludwigshafen Der Sommer von 1999

Reise in die eigene Vergangenheit: Autor Thorsten Nagelschmidt in Mannheim.
Reise in die eigene Vergangenheit: Autor Thorsten Nagelschmidt in Mannheim.

Es ist nicht sein erstes literarisches Werk, und dennoch eine Art Premiere: Thorsten Nagelschmidt hat vor elf Tagen mit „Der Abfall der Herzen“ seinen ersten Roman unter seinem richtigen Namen veröffentlicht. Zuvor genügte ihm einfach Nagel. Wie es zu diesem Namenswechsel kam, erklärte er seinem Freund Manuel Möglich beim Festival „lesen.hören“ in der Mannheimer Alten Feuerwache.

Es ist von Anfang an spürbar: Hier sprechen zwei Menschen, die sich gut kennen und vor allem sehr gut verstehen. Thorsten Nagelschmidt, Texter und Sänger der bis 2009 existierenden Punk-Band Muff Potter, und Journalist Manuel Möglich, der schon mit seinem Kumpel auf Lesereise war, liefern sich lustige Wortgefechte, die für eine lockere Atmosphäre sorgen. „Manuel Möglich ist mein echter Name“, scherzt der Moderator des Abends und stellt in Richtung Nagelschmidt fest: „Ich kenne dich zu gut. Für mich bleibst du Nagel.“ „Aber dann sag’ bitte ,Sie, Herr Nagel’ zu mir“, kontert Nagelschmidt. Unter dem Pseudonym Nagel hat der 1976 in Rheine geborene Autor seine ersten drei Werke veröffentlicht. Sein Debüt „Wo die wilden Maden graben“ erschien 2007. „Das war mein Dorfspitzname, der als Punkname perfekt war. Jetzt wollte ich aber mal einen Vor- und Nachnamen haben“, erläutert Nagelschmidt den Wechsel vom Spitz- zum Taufnamen. Für seinen neuen Roman hatte er sich eigentlich eine ganz andere Geschichte vorgestellt. „Ich wollte über eine kaputte Beziehung schreiben, die mit einem Kuba-Urlaub gerettet werden soll“, berichtet er. Doch dann sei alles ganz anders gekommen, denn beim Schreiben habe er gemerkt, dass er seine Hauptfiguren Felix und Sarah nicht leiden konnte. „Ich konnte ihnen nichts glauben, nicht einmal die Namen“, sagt Nagelschmidt, den eine Aussage eines alten Kumpels dann auf eine völlig andere thematische Spur führte. „Ich habe ihn gefragt, wann er aufgehört habe, mich zu hassen. Darauf meinte er, als ich ihm diesen Brief geschrieben habe. Doch an diesen konnte ich mich nicht erinnern“, erzählt Nagelschmidt. Er habe daraufhin seine Tagebücher aus dem Jahr 1999 rausgekramt und darin nachgeschaut. Mit 15 Jahren habe er angefangen, Tagebuch zu schreiben, mittlerweile „bin ich bei Buch Nummer 143“, erzählt er. Für ihn sei das „zur Sucht“ geworden, um dem Vergessen entgegenzuwirken. Für seinen neuen Roman hat Nagelschmidt aber nicht nur seine eigenen Aufzeichnungen zurate gezogen, sondern auch alte Freunde und Weggefährten von damals interviewt. Entstanden ist daraus ein mit autobiografischen Fakten angereicherter Roman, der zwischen den Jahren 1999 und 2015 hin und her pendelt. „Um der Wahrheit näher zu kommen, muss man sie erzählen, also fiktionalisieren“, sagt der Autor, der versucht, der Wahrheit jenes Sommers 1999 näherzukommen. Dieser Wahrheit nähert sich Nagelschmidt mit reichlich Witz. Er durchlebt wieder seine wilden WG-Zeiten und berichtet von seiner ersten hypnotischen Erfahrung – und dafür braucht er reichlich Platz. „Ich dachte: Nagel, ist das dein Ernst? 448 Seiten? Aber mit kurzen Dialogen der Art ,Ja. Nein. Punkt’ liest es sich sehr schnell“, kritisiert Manuel Möglich scherzhaft. Und dennoch hat er Recht, denn Nagelschmidts lockere Sprache sorgt für kurzweiligen Lesespaß, der dennoch einen kraftvollen Eindruck hinterlässt. Mit Leichtigkeit entführt er seine Leser in eine Zeit, in der es noch keine Smartphones gab, und entflammt bei diesen eine Frage: Was habe ich eigentlich im Sommer 1999 gemacht?

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