Ludwigshafen Chaplins Humor

NDT III, die von Jiri Kylián am Nederlands Dans Theater gegründete Kompanie für ältere Tänzer und Tänzerinnen, gastierte auch schon in Ludwigshafen. Nachdem sie 2006 aufgelöst wurde, fand der Choreograf andere Wege, diese vielbeachtete Tätigkeit als „Kylworks“ fortzusetzen. Deren Mischung aus Tanz, Theater und Film waren dem Publikum im Theater im Pfalzbau ungewohnt, fanden dann aber viel Beifall, besonders Kyliáns Anknüpfung an die Film-Ikone Charlie Chaplin.

In den beiden längeren Programmteilen, dem mit Boris Pavel Conen realisierten Film „Car-Men“ in Stummfilmoptik zu bearbeiteter Musik aus der Bizet-Oper, und „Birth-Day“ in Mozart-Rokoko-Optik, der Wiederaufnahme einer Koproduktion mit dem Berliner Hebbel-Theater, lachte das Publikum aus vollem Herzen über die Chaplinaden. Wie sehr Chaplins Slapstick-Komödien aus dem Tänzerischen leben, macht Kyliáns Arbeitsweise sichtbar. Schnelligkeit und Abgehacktheit der Bewegung, die einer noch in den Anfängen steckenden Filmtechnik geschuldet waren, steigert Kylián zum ästhetischen Stilmittel. Er sucht dabei auch thematische Annäherung an Chaplin und taucht wie dieser eine überbordende Komik in leise, fast existenzielle Tragik. Der im Pfalzbau gezeigte Film „Car-Men“ spielt in einer aufgegebenen Grube in Andalusien. Vier Clowns tollen über eine hügelige Ebene und rutschen in die Grube ab. Sie richten sich in dem Schrott ein, der von den einstigen Betreibern zurückgelassen oder vom Filmteam als Kulisse darin aufgebaut wurde. Alles dreht sich um Autos, um 100 Jahre alte Oldies. Sie sind Objekte begehrten Sozalprestiges und Symbole geheimer Wünsche. Am meisten für die Protagonistin Carmen. Da braust so eine schicke Limousine durch das wüstenhafte Gelände – und überrollt sie. Unbeschädigt steht sie wieder auf, inszeniert sich als Diva mit imaginierten Autos, träumt sich in wilde Autorennen zu Bizets Arena-Musik, spielt auf einer zusammengebastelten Schrottmaschine mit unheildrohendem Gelächter die José- und Escamillo-Clowns gegeneinander aus, entschwindet zum Schluss triumphal per Auto über den Geröllhang der Grube. Im gemischten Quartett tanzen nicht nur die Körper, sondern – in Großaufnahme – auch die Gesichter. Am wildesten komisch und zugleich rätselhaft tiefgründig ist die Carmen von Sabine Kupferberg. Das Tanzstück „Birth-Day“ verknüpft Bühnenspiel und Filmspiel zu einem ineinander greifenden Gegenüber. Auf der Bühne sitzt eine fünfköpfige Rokokogesellschaft an einem langen Tisch. Cora (Bos Kroese) hat Geburtstag. Im Tanz der Oberkörper neigen sich Köpfe, fliegen Arme und Hände mit nervösen Fächern zu Orchesterauszügen aus Mozart-Opern. Auf einer Leinwand hoch über den Tänzern erscheint ein weißer Rokokoraum mit den virtuellen Doppelgängern. Einzelne reale Akteure verlassen die Bühne. In Großaufnahme sieht man sie dann in Szenen, die zunehmend slapstickhafter werden: Ein laszives Solo im Hemdchen zwischen aufwirbelnden Federn – ein ausgelassenes Gehopse als Mozart und Constanze auf dem Doppelbett - ein Intrigant in einem virtuosen Degen-Solo – Chefkoch und Gehilfe mit Chaplin-Bärtchen beim Zubereiten der Geburtstagstorte. Vielleicht braucht es die Weisheit des Alters, um lustvoll die erst wenig ausgeschöpften Quellen von Komik anzuzapfen, die im Tanz liegen. Das gilt für den Choreografen wie für die Tänzer, die hier zwischen 35 und 65 Jahren alt sind. Das eine von den beiden kürzeren Stücken war die von Jiri Kylián 2002 zum 25-jährigen Jubiläum des Nederlands Dans Theaters geschaffene Choreografie „27’52““ (Dauer in Minuten und Sekunden). Er hat sie für Celia Amade und Lukas Timulak zu „14’20““ neu bearbeitet. Das andere Stück mit dem Titel „Anonymous“ war gefühlt viel länger als die angegebenen acht Minuten. Zum Gesang von Montserrat Figueras sitzen Cora Bos Kroese und Aurélie Cayla in den voluminösen Reifröcken funkelnder Goldroben. Nur Arme und Hände bewegen sich in perfekt parallel geführten Gesten des Verschweigens und Verbergens. In die ruhige Schönheit ihres Rituals brechen verstörende Videos wie Explosionen ein. Kaum erkennbar zeigen sie Gesicht und Oberkörper, die sich aggressiv und wie gepixelt auflösen.

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