Ludwigshafen Brüchige Beziehungen in der Emigrantenszene der 30er-Jahre: Vortrag im Bloch-Zentrum
Gérard Raulet hatte sich viel vorgenommen. Der Vortrag des emeritierten Professors für deutsche Ideengeschichte an der Pariser Sorbonne war eher als ein großes Tableau der deutschen Emigrantenszene in Frankreich angekündigt denn als biografische Episode im Leben Ernst Blochs. So machte der Professor in einem historisch voraussetzungsreichen Vortrag denn auch des öfteren Sprünge in die Zeit vor und nach dem Aufenthalt des Ehepaars Karola und Ernst Bloch in Paris und Sanary-sur-Mer, führte Briefstellen anderer Intellektueller im Exil an und weitete den Blick auf die sich entwickelnde Realismus-Debatte, die zum Bruch mit Blochs Jugendfreund Georg Lukács führte, sowie auf die Moskauer Prozesse. Raulets Ansatz wird verständlich aus den wissenschaftlichen Voraussetzungen des Vortragenden, ist er doch Experte nicht nur für Bloch, sondern auch für Walter Benjamin, die Frankfurter Schule und die Weimarer Republik.
Keinen Finger gerührt
Nicht nur der Austausch der deutschen Emigranten mit französischen Intellektuellen sei gering gewesen, stellte Raulet fest, und nannte auch die Beziehungen der deutschen Emigranten untereinander brüchig und nicht sehr eng. Er zitierte, welchen Eindruck Ludwig Marcuse von dem Philosophen Bloch in Sanary-sur-Mer hatte: „Der Marxismus wird in seinem Dialekt ein talmudisch-bänkelsängerisches Klären“. Ein anderes Beispiel: Walter Benjamin verglich Blochs intellektuelle Abrechnung mit dem Faschismus mit einem donnernden „Echo aus Hohlräumen“.
Ferner führte Raulet das Beispiel des deutsch-französischen Philosophen und Historikers Bernhard Groethuysen an, der als Lektor beim Verlag Gallimard in Paris tätig war, aber keinen Finger für die Emigranten rührte. So hoffte Siegfried Kracauer, dessen Lage noch prekärer und verzweifelter war als die Walter Benjamins, vergeblich auf eine französische Übersetzung seines Romans „Georg“ aus der Zeit der Weimarer Republik. Gleichwohl schätzte Raulet Frankreich als Exilland günstig ein. In den 30er-Jahren sei die damals beachtliche Zahl von 30 Büchern deutschsprachiger Autoren in französischer Übersetzung erschienen, außerdem 1300 weitere Veröffentlichungen.
Schwieriger mittlerer Kurs
Politisch, meint Raulet, suchte Bloch in Frankreich einen schwierigen mittleren Kurs zu halten zwischen der Linie der kommunistischen Partei und bürgerlichen Autoren wie Heinrich Mann, Präsident der Ausschüsse zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, nachdem Stalin 1934 die Sozialdemokratie als „Zwillingsbruder des Faschismus“ bezeichnet hatte. „Die Zeit fault und kreißt zugleich. Der Zustand ist elend oder niederträchtig, der Weg heraus krumm. Kein Zweifel aber, sein Ende wird nicht bürgerlich sein.“ So lauteten die ersten Sätze in „Erbschaft dieser Zeit“. Im Humanismus-Begriff der Volksfront sah Bloch jedenfalls nur „vage und betrügerische Allgemeinheiten, nie ordnend und Richtung gebend“.
Aus den Spannungen ging auch die Expressionismus-Debatte hervor, als ein gewisser Alfred Kurella, von der Komintern nach Paris entsandt, in der Exilzeitschrift „Das Wort“ Gottfried Benns Nihilismus als „Salto mortale in das Lager Hitlers“ bezeichnete. Bloch hielt es für „einen großen Fehler, dass zwei Monate nach Hitlers Reden gegen den Expressionismus das ,Wort’ einen solchen Aufsatz gebracht hat“. Aus der Expressionismus-Debatte entwickelte sich die Realismus-Debatte über die grundsätzliche Frage nach der „richtigen“ sozialistischen Kunst.
Termin
Am Donnerstag, 7. Dezember, 18 Uhr, hält Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum (Walzmühlstraße 63) den Vortrag „Bloch und die Heimat: eine Utopie?“