Ludwigshafen Beschwingt in den Tod

Zwei international gefeierte Gast-Solisten haben den ersten Festlichen Opernabend des Jahres im Mannheimer Nationaltheater dominiert: Anita Hartig und Stephen Costello haben als Mimi und Rodolfo in Giacomo Puccinis „La Bohème“ brilliert. Und auch das Nationaltheater-Ensemble hat eine herausragende Leistung geboten.

Einen klangvollen Namen haben beide schon seit Jahren: die Rumänin Anita Hartig, seit zehn Jahren Ensemble-Mitglied der Wiener Staatsoper, mit gefeierten Auftritten an der Mailänder Scala oder der Metropolitan Opera in New York, und der Amerikaner Stephen Costello, ebenfalls mit Erfahrung an der Met sowie in Wien, London, Berlin und nicht zuletzt an der Semperoper in Dresden. Mit 36 und 37 Jahren gehören sie zur jüngeren Sängergeneration und sind noch im Ausbau ihres Ruhms und Repertoires begriffen. Anita Hartig kennt die Rolle der Mimi seit 2006, als sie Puccinis Meisterwerk in der rumänischen Provinz in Cluj (Klausenburg) am dortigen Opernhaus einstudierte – lange bevor sie ahnte, welche Karriere sie einst machen würde. Stephen Costello ist als lyrischer Tenor für die Interpretation des gefühlvollen Dichters Rodolfo in der Pariser Mansarde geradezu prädestiniert und dafür derzeit in Dresden laufend engagiert. Insofern dürfte beide ihre Stimmenrollen tief verinnerlicht haben. Eine Selbstverständlichkeit ist es auch für internationale Stars nicht, sich mit den weiteren Solisten des Nationaltheaters – wie das Publikum vertraut mit der Mannheimer „La Bohème“-Inszenierung von 1974 (!) – zusammenzufügen. So müssen sowohl das Orchester als auch die Gäste im ersten Bild die eine oder andere Hürde überwinden. Rasch legt sich das absolut verständliche Abtasten, das erste Duo von Mimi und Rodolfo ist von Seiten Costellos bereits nahezu meisterlich. Ohne spürbaren Kraftaufwand erreicht er eine hell-warme Klangfarbe, ohne die Dramatik der Handlung vorwegzunehmen. Bei Hartig springt der emotionale Funke noch nicht direkt über. Beim Duett „O soave fanciulla“, in der die beiden Protagonisten zueinander finden, entfaltet sie jedoch ihr Können. Gerade in der für Mimi oft gefragten Mittellage zeigt die Rumänin Klarheit und Kraft. Eine solch aufrichtig empfindende Sopranstimme ist selten zu hören. Stephen Costellos Tenor kommt ohne volumenheischendes Vibrato aus. Seine Koloraturen sind supersauber und haben stets eine beschwingte, nach vorne drängende Lebendigkeit. Mimis besonders im Schlussteil leidende Position ist für Hartigs Sopran eine Herausforderung, weil liegend und teilweise nur in Begleitung weniger Instrumente zu bewältigen. Das Sterben von Mimi inszeniert sie mit hoher Präsenz. Ihre Stimme bleibt selbst bei schwierigster Dynamik glasklar. Den nahen Tod vollzieht Anita Hartig keineswegs passiv: Ihre Stimme lässt sie mal füllig und verschwenderisch anschwellen, dann wieder melancholisch-zart tupfen. Costello zeigt sich als ebenbürtiger Partner. Eingefleischte Bohème-Liebhaber haben bei ihm vielleicht maskulinere Attitüden in Stimme und Gestik vermisst – als Paar überzeugen beide mit der dem Stoff entsprechenden Jugendlichkeit. Puccinis „La Bohème“ aus dem Jahr 1906 gehört nicht zuletzt wegen der leidenschaftlichen Musik zu den meistgespielten Opern. Eine Besonderheit ist auch die Stringenz der Gesamt-Komposition. Ohne Ouvertüre und Unterbrechungen zwischen den einzelnen Arien schreitet die Handlung voran. Insofern ist die Qualität der Aufführungen abhängig von dem Niveau von Orchester, Chor und den weiteren Solisten, die das Spektrum im Übrigen an Klangfarben wesentlich anreichern. Das Orchester zeigt sich aufmerksam und transparent, was besonders in der Jahrmarktszene deutlich wird. Chöre und Solisten drohen im Trubel der kreativ-dynamischen Einfälle von Puccini an die Seite gedrängt zu werden, aber Generalmusikdirektor Alexander Soddy hielt jederzeit die Balance für eine stimmige Performance. Auffällig unter den Mannheimer Solisten: Eunju Kwon, die die absolut anspruchsvollen Arien der Musette mit Frische füllt. Evez Abdulla setzt vor allem im ersten Bild den Kavalierbariton des Lebemanns und Malers Marcello wirkungsvoll in Szene. Anrührend das gefühlvolle Bass-Solo des Philosophen Colline im letzten Bild: Sung Ha besitzt den Klangraum für den innigen Ausdruck der Mantelarie.

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