Podcast „Alles Böse“ BASF-Explosion mit fünf Toten: „Niemand wird das jemals vergessen“
„Dieses Ereignis hat sich ganz tief in das kollektive Gedächtnis der Firma eingegraben“, sagt BASF-Werkleiter Uwe Liebelt fünf Jahre nach dem Unfall. Dieser hat im Nachgang eine intensive Debatte über die Sicherheitsvorkehrungen im Stammwerk, aber auch darüber hinaus in der gesamten Chemiebranche ausgelöst. Im Gespräch mit der RHEINPFALZ betont der 55-Jährige: „Niemand, der an diesem Tag hier war, wird das jemals vergessen. Leider können wir die Zeit nicht zurückdrehen, wie gerne würde ich das tun.“ Mit einer internen Veranstaltung gedenkt der Chemiekonzern auch in diesen Tagen – wie in jedem Jahr seit dem Unglück – der zahlreichen Opfer.
„Eine Mahnung, noch sicherer zu arbeiten“
Liebelt zufolge hat die BASF ihre Lehren aus dem Unglück gezogen und die Sicherheitsstandards so verschärft, dass sich ein vergleichbares Ereignis wie damals „nach menschlichem Ermessen“ nicht wiederholen könne. „Wir haben das Ereignis tatsächlich als Mahnung und als fortwährende Aufforderung verstanden, noch sicherer zu arbeiten.“
Eine „kausale Mitverantwortung“ der BASF an dem Unfall, die der Vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung des Prozesses im August 2019 feststellte, sieht Liebelt nicht. Der BASF sei in keinem Gutachten ein fehlerhaftes Verhalten nachgewiesen worden. So leid ihm dies menschlich auch tue: Die Schuld an dem Unglück liege letztlich allein bei dem heute 65-jährigen Leiharbeiter aus Mannheim, der mit einem Winkelschleifer (Flex) eine falsche Leitung angeschnitten hatte.
Falsche Leitung erwischt
Eigentlich sollte der Arbeiter eine entleerte Propylenleitung abtrennen. Er erwischte allerdings eine, die mit einem leicht entzündbaren Gasabfallgemisch aus Buten befüllt war. Das nach dem Schnitt in das Rohr mit einem hohen Druck austretende Butengemisch entzündete sich sofort und befeuerte danebenliegende Leitungen.
Durch den enormen Druck und die Hitze der Befeuerung wurde eine Ethylenleitung so stark erhitzt, dass es etwa sechs Minuten nach dem Schnitt in das Rohr zu einer Explosion kam, die weitere Brände und Explosionen an anderen Rohren verursachte. Infolgedessen starben vier Feuerwehrleute sowie ein Matrose eines im Hafen liegenden Tankmotorschiffs.
Dutzende Menschen wurden verletzt. Auch der Leiharbeiter erlitt schwere Brandverletzungen. Nach BASF-Angaben gab es 14 Verletzte, zehn davon wurden schwer verletzt. Nicht eingerechnet seien dabei Personen, die zur Untersuchung in der Ambulanz waren oder dort ärztlich behandelt wurden, bei denen es aber keine Ausfalltage gab.
Wochenlang standen die BASF-Führung und der damalige Vorstandsvorsitzende Kurt Bock, der sich erst mehrere Tage nach dem Unglück öffentlich äußerte, unter erheblichem Druck. Das Verhältnis zur Stadtspitze war belastet.
„Schwerster Tag in meinem Leben“
Der Schweißer wurde vom Frankenthaler Landgericht zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt – wegen fahrlässiger Tötung in fünf Fällen, wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und wegen fahrlässiger Körperverletzung. Er war über eine Fremdfirma mit Wartungsarbeiten an der Rohrleitung der BASF beauftragt. Der Mann sagte vor Gericht, keinerlei Erinnerung zu haben, nicht einmal daran, dass er selbst in Flammen gestanden hatte. „Das war der schwerste Tag in meinem Leben. Das hat mein Leben kaputtgemacht.“ Er ist heute arbeitsunfähig und zu 70 Prozent behindert. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat das Urteil gegen den Leiharbeiter bestätigt.
Schaden von einer halben Milliarde Euro
Der Sachschaden nebst Folgeschäden hinsichtlich des Betriebsablaufs wurde von der Staatsanwaltschaft zu Beginn des Verfahrens auf mindestens 500 Millionen Euro geschätzt. Zwei Steamcracker der BASF und 20 weitere Anlagen im Werk wurden infolge des Brands im Oktober 2016 vorsorglich heruntergefahren. Am Unglücksort, dem Landeshafen Nord, schlägt die BASF brennbare Flüssigkeiten wie Methanol, Naphtha und Flüssiggase um.
Die Chemieindustrie zähle trotz allem zu den sichersten Branchen überhaupt, sagt Liebelt heute – auch wenn Einzelereignisse, wie Ende Juli die Explosion im Leverkusener Chempark mit sieben Todesopfern, für große Aufmerksamkeit sorgten und ein anderes Bild suggerierten.
Liebelt: 95 Prozent weniger Arbeitsunfälle
„Wir haben die Arbeitsunfälle mit Ausfalltagen in der Chemie in Deutschland seit den 1970er-Jahren um 95 Prozent gesenkt. Hier am BASF-Standort liegen wir noch mal um 70 Prozent unter diesem Schnitt“, unterstreicht Liebelt. Er sagt aber auch: „Eine absolute Sicherheit gibt es weder in der Chemieindustrie noch in unserer Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist auf dem Prinzip der Risikominimierung, der Akzeptanz und dem Management eines Restrisikos aufgebaut.“
Bei der BASF, versichert der Top-Manager, genieße das Thema Sicherheit schon immer Priorität – vor kommerziellen und strategischen Zielen. „Das war so, das ist so, das wird so bleiben“, betont Liebelt, der über seine persönliche Rückschau sagt: „Ich erinnere mich an sehr vieles noch im Detail. Einige entscheidende Momente sind wie Filmausschnitte komplett gespeichert. Diese Bilder verblassen auch nicht.“
Ortsvorsteher als Krisenmanager
Als Krisenmanager war vor fünf Jahren auch Oppaus damaliger Ortsvorsteher Udo Scheuermann gefragt. „Das war schon tragisch“, erinnert sich der heute 76-Jährige an die aufwühlenden Ereignisse. Zum Glück seien keine Bewohner der nördlichen Stadtteile betroffen gewesen, anders als bei der furchtbaren Explosion einer Gasleitung zwei Jahre zuvor. „Trotzdem herrschte natürlich helle Aufregung im Ortsteil“, berichtet Scheuermann.
Nach dem Unglück im Nordhafen musste er unter anderem gut 100 Lkw-Fahrer unterbringen und versorgen, weil das BASF-Werk tagelang blockiert und zur Sperrzone erklärt worden war – zunächst kamen die Trucker im Bürgerhaus Oppau unter, danach im Schulzentrum Edigheim. „Die Feuerwehr hat Notbetten gebracht, dank der Schulkantine konnten die Männer dort ordentlich verpflegt werden.“
Für mächtig Wirbel sorgte nach Scheuermanns Angaben zudem, dass die Menschen im Gewerbegebiet Nachtweide infolge des Unfalls stundenlang völlig abgeschnitten waren. „Da kam bis 22 Uhr keiner mehr rein oder raus. Die Verärgerung war entsprechend groß.“
„Aus dem Unglück gelernt“
Zum Thema Mitverantwortung des Konzerns sagt Scheuermann: „Die BASF hat alles getan, um den Vorschriften genüge zu tun“ – und verweist dabei auf die entlastenden Gutachten. „In der Folge musste im BASF-Werk aber an vielen Stellen nachgebessert werden. Das Unternehmen hat aus dem Unglück gelernt“, bilanziert der SPD-Politiker.
Um das BASF-Explosionsunglück von 2016 und seine juristische Aufarbeitung im Frankenthaler Prozess geht es auch in den zwei nächsten Folgen des RHEINPFALZ-Podcasts „Alles Böse“. Die erste ist ausnahmsweise schon ab Sonntag abrufbar – im Webplayer sowie auf gängigen Plattformen wie Spotify, Google Podcasts, Apple Podcasts oder Castbox. Im Gespräch mit dem stellvertretenden Chefredakteur Uwe Renners beschreibt Gerichtsreporter Christoph Hämmelmann, was Wehrleute in der Flammenhölle erlebten und wie die Ermittler die Unglücksursache entdeckten.