Ludwigshafen Balu, lange Bärte und die Brücken-Maut

Januar

Beim Neujahrsempfang am 14. Januar verkündet Oberbürgermeisterin Eva Lohse im Auftrag von Investor Günther Tetzner den bärenstarken Namen für das geplante Stadthaus am Berliner Platz: „Balu – Bester Ausblick Ludwigshafens“. Die erste Wahl „Metropol“ hat bereits ausgedient – das gleichnamige Café in Mannheim hatte dagegen geklagt. Lohse, die am 23. Januar zum neunten Mal 50 wird, hat noch eine weitere Überraschung im Gepäck. In die mit 52 Metern höhere der beiden Balu-Säulen zieht der aus seinem Intendantenamt komplimentierte Theatermacher Hansgünther Heyme ein – als Turmschreiber. Sein erstes Projekt: die kroatische Fassung des Dschungelbuchs. Gegenüber, im nicht mal halb so großen zweiten Glasturm, hat sich die SPD ein Büro gesichert, Arbeitstitel Dschungelcamp, um die kostspieligen Faxen des 79-Jährigen stets im Auge zu behalten. Finanziert wird dessen Engagement ab 2017 mit dem revitalisierten Berufspilotenprojekt „Küm“ (Künstlermitgift). Vor dem Finale der Stadtmeisterschaft im Hallenfußball am 18. Januar feiern Die Drei Brados ihr umjubeltes Comeback in der Eberthalle. „Probiert’s mal mit Gemütlichkeit“ raten sie den Endspielkickern. Weltmeister André Schürrle überreicht den Siegerpokal – aber nur, falls der LSC gewinnt. Februar Bund und Land (kurz: Bula) einigen sich darauf, dass Ludwigshafen die auf 550 Millionen Euro gestiegenen Kosten für den Hochstraßenabriss alleine tragen muss. Bis 2018 soll eine Brücken-Maut das Geld dafür einspielen, schlägt Verkehrsminister Alexander Dobrindt vor. Im Rathaus ist von einer „Mogly-Packung“ die Rede. Die designierte Städtetags-Präsidentin Lohse protestiert in Berlin, blitzt aber bei Angela Merkel ab, die von einer alternativlosen Entscheidung spricht. Im designierten Turmschreiber Heyme findet die OB einen Unterstützer. Merkel droht er mit einer „Götterdämmerung“ direkt vorm Kanzleramt. Angetan von so viel Courage gegenüber Mutti beantragt die Ludwigshafener AfD, die lange Stadtstraße bei ihrer Einweihung 2036 in Heyme-Highway zu taufen. Und: Die Maut müsse mit D-Mark bezahlt werden. „Warum nicht gleich mit Rubel?“, poltern die Linken. Nach einem von den Grünen geforderten naturtrüben Belag für die Piste sieht der SPD-Stadtverbandsvorsitzende Rot und organisiert auf dem Europaplatz eine Schneidersitzblockade. Jutta Steinruck referiert über die Heldentat ihres Lieblings David im Europaparlament. „Warmlaufen für die OB-Kandidatur“, lästert die CDU. Baudezernent Klaus Dillinger lässt sich als Zeichen des Widerstands gegen die Dobrindt-Maut einen Vollbart wachsen. März Anlässlich der bundesweiten Woche der Brüderlichkeit vom 6. bis 9. März erklären sich mehrere Städte solidarisch mit dem nahezu bankrotten Ludwigshafen. Sie nehmen das Lu in ihren Namen auf, wie Luverkusen oder Lundau. Sogar die bretonische Partnerstadt klinkt sich ein und tauft sich in „Lurient“ um. Heyme verspricht den Franzosen als Belohnung die Premiere des kroatischen Dschungelbuchs. Weil sich Chelsea London nicht in Chelsea Lundon umbenennen will, wechselt André Schürrle für 55 Millionen Euro zum FC Luverpool. Ein Monatsgehalt spendet er für den dritten Bewegungsparcours, der direkt im Stadtratsaal angelegt werden soll. Mitglieder der großen Koalition klagen schon lange über Nackenschmerzen vom vielen Nicken. Bürgermeister Wolfgang van Vliet wünscht sich ein Auslaufband, Kämmerer Dieter Feid eine Kletterwand bis hinauf zum Gipfel des Schuldenbergs. Das Schuhhaus Keller spendiert ihm ein Paar Bergstiefel aus geschmeidigem Yeti-Leder. Die Drei Brados bieten ihre musikalischen Dienste für die Eröffnung an. Kulturdezernentin Conni Reifenberg beantragt für diesen Fall Kopfhörer. Michael Cordier, Chefwerber der Stadt, organisiert ihr Ohrschützer mit dem Logo drauf. DJane Conni ist geboren. April In der – gefühlt – 159. Folge der RHEINPFALZ-Serie „Ein Logo auf Weltreise“ berichtet André Schürrle aus einem Pub an der Anfield Road. Er hat Hansgünther Heyme auf die Insel zu einem Guinness eingeladen. Der wiederum hat Investor Tetzner mitgebracht, der sich beim Traditionsclub FC einkaufen und den Verein in Baluverpool umbenennen will. Cordier jubelt und sieht das Lu-Logo schon auf der Brust der „Reds“ zwinkern. „Wahlkampf“ echauffieren sich die Schwarzen aus der Chemiestadt angesichts dieses Farbenspiels. Jutta Steinruck thematisiert den Konflikt in Brüssel und produziert damit ein Eigentor. Großbritannien droht mit dem Austritt aus der EU. OB Lohse will darüber eine „Quintessenz“ schreiben, scheitert aber am Veto der Lokalredaktion, die sich nicht in Lukalredaktion umbenennen will. Dobrindt treibt derweil die Maut-Pläne voran und zeigt sich bei einem Treffen mit dem Baudezernenten irritiert von dessen fortschreitenden Bartwuchs. Dillinger wird im Rathaus nur noch Nikoklaus genannt. CDU-Chef Merkel warnt mit Blick auf die haarige Angelegenheit: „Langfristig dürfen wir es uns nicht mit der AfD verderben.“ Mai Dem Dämmer- folgt ein Jubiläumsmarathon: Die Eberthalle wird 50, der Ebertpark 90. Die Drei Brados treten in der Konzertmuschel auf, Heyme inszeniert Wagners Ring am Sternbrunnen und empfiehlt sich als Turmschreiber im Turmrestaurant. Vorsichtshalber mietet die SPD einen Tagungsraum. In Friesenheim überschlagen sich die Ereignisse. Die Ortsvorsteher-Stichwahl vom Juni muss wiederholt werden. Beim nochmaligen Auszählen wurde der nächste Fehler entdeckt. Constanze Kraus (CDU) liegt nun doch gleichauf mit Günther Henkel (SPD). Es folgt eine spontane Schneidersitzdemo der Genossen. Der Skandal führt zum Ende der großen Koalition im Rathaus. Als die Nachricht in England durchsickert, wird das Ligaspiel zwischen Luverpool und Chelsea unterbrochen. André Schürrle reist sofort zurück in seine Heimatstadt und glättet die Wogen – alle Kontrahenten schauen sich noch mal gemeinsam das WM-Halbfinale gegen Brasilien an. Beim Abpfiff steht ein Kompromiss: Die Groko bleibt erhalten, Henkel und Kraus teilen sich die Amtszeit. Heyme wird als ständiger Schlichter im Ortsbeirat gewonnen. Die SPD besteht auf einem Regieassistenten. Günther Ramsauer meldet sich freiwillig. Juni Schneidersitzblockaden sind in Mode – vor dem Start des Filmfestivals am 17. Juni auf der Parkinsel wird die Hafenstraße zur Protestmeile. Auf Druck der Insulaner sichert ihnen OB Lohse zu, nach dem Spektakel einen neuen Rollrasen im Stadtpark zu verlegen. Die mächtigen Spundwände für den Hochwasserschutz werden schon früher eingezogen – als Lärmschutz für die Anwohner. Heyme wittert seine Chance und will auf den Stahlflächen das kroatische Dschungelbuch zeigen – als Dauerinstallation. Von Menschen blockiert wird auch der anstehende Abriss der „Tortenschachtel“. Darüber wird ein Dokumentarfilm gedreht, mit dem das nächste Filmfestival eröffnet werden soll. Arbeitstitel: Die Wahrheit ist ein großer Kuchen. Til Schweiger sichert sich die Filmrechte und schlägt einen neuen Namen fürs Stadthaus vor: Zwei-turmküken. Dillingers Bart wird immer länger, die AfD beantragt im Stadtrat eine Sofort-Rasur. Die Groko lehnt ab. Die FWG will dem Dezernenten aus hygienischen Gründen den Zutritt ins Freibad verbieten lassen. Direktor René Zechlin eröffnet im Hackmuseum die Ausstellung „Männer mit Bärten – von Bushido bis Ben Affleck“. Zur Vernissage spielen die Drei Brados, Dillinger spricht einführende Worte, weil Heyme zur Recherche-Zwecken für sein Turmschreiber-Projekt im Sommer zwischen Dubrovnik und dem Amazonas-Urwald pendelt. Eine Dschungelcamp-Delegation der SPD begleitet ihn. Juli Für das große Stadtfest-Konzert auf dem Berliner Platz gelingt Sponsor BASF ein Coup. Der Konzern angelt sich die Fischers: Helene, Gotthilf und dessen Chöre marschieren gemeinsam auf die Bühne. Derweil ist die „Tortenschachtel“ fast abgetragen. Auf der Baustelle wird eine Tribüne installiert. Die von der Anilin gestellten Stadtlauf-Trikots sind erstmals schwarz-rot, als Gegenleistung verspricht die Groko, die Gewerbesteuer moderat zu senken. Die Rekordteilnehmerzahl von 2015 bevölkert die neue Route, die spätabends 99 Mal um die Baustelle führt. Den Ohrwurm zum Drehwurm liefert eine kleine Blondine: Pausenlos durch die Nacht. Die Drei Brados sichern sich die Zweitverwertungsrechte. Kämmerer Feid knackt die Streckenbestleistung und firmiert fortan als weißer Kenianer. Das Hackmuseum verzeichnet einen Ansturm, weil alle Bärtigen umsonst die Schau sehen dürfen. Die AfD organisiert eine Schneidersitzblockade und wird vom SPD-Chef verklagt, weil der sich den sitzenden Protest hat patentieren lassen. Bei einem von Lohse initiierten Bürgerverfahren wird Schweigers Vorschlag Zwei-turmküken abgelehnt. Tetzner ist erleichtert, Heyme kehrt – braun gebrannt und mit Ziegenbärtchen – aus seinem Urlaub zurück. Beim Straßentheaterfestival läuft er auf Bambusstelzen flankiert von Dschungelbuchfiguren durch die Fußgängerzone. Nils Nager erklärt in der RHEINPFALZ: Der Mann will immer hoch hinaus. August Ein unglaublicher Transfer bestimmt im August die Schlagzeilen. Nach dem Regionalliga-Aufstieg verpflichtet der FC Arminia den bei Lazio Rom ausgemusterten Miro Klose, der seine Karriere in Rheingönheim ausklingen lässt. Ortsvorsteherin Julia May lässt sich daraufhin alle WM-Tore des Angreifers auf die Oberarme tätowieren. Im November, so kündigt sie an, will sie beim Rendezvous der Besten in der Eberthalle 16 Salti nacheinander schlagen. Dort ist auch künftig Bundesliga-Handball zu sehen, weil die sportlich abgestiegenen Eulen der TSG Friesenheim davon profitieren, dass nachträglich neun Konkurrenten die Lizenz für die kommende Saison verweigert wird. Der Abriss der Eberthalle ist mehr als ein Gerücht. Cordier träumt bereits von der neuen Luarena. Die Drei Brados planen dort den Start ihrer „Wir feiern immer weiter“-Tour und leiten schon mal den Vorverkauf ein. Frauen, die Männer ohne Bärte haben, sollen freien Eintritt erhalten. Die AfD applaudiert, Dillinger fühlt sich gemobbt. Dobrindt veranlasst das Aufstellen von Maut-Kabinen an den Brückenköpfen des Rheinufers und triumphiert: „Bald rollt der Rubel.“ Die Linken nehmen’s mit Genugtuung zur Kenntnis. Die AfD wiederum trifft das ins Mark. September Der FC Luverpool und der FC Lurient vereinbaren ein Freundschaftsspiel im Südwest-Stadion, um dessen Erhalt zu sichern. Dennoch stimmt der Stadtrat einem Abriss zu. Hintergrund: ECE hat das Gelände anlässlich des fünften Geburtstags der Rhein-Galerie gekauft und will dort eine Stadion-Galerie bauen – mit Schürrle-Fanshop, Heyme-Bühne und direkt daneben einem SPD-Observationsbüro. Für die Eröffnung 2018 haben sich Die Drei Brados schon mal vormerken lassen. Sie treten auch beim Familientag am 20. September im Wildpark auf, es werden Tiere mit Ohrenstöpseln gesichtet. In Mannheim komponiert Xavier Naidoo gemeinsam mit DJane Conni ein Lied gegen die Brücken-Maut und engagiert Die Drei Brados als Background-Sänger. „Dieser Weg wird ein teurer sein“ erreicht Platin-Status. Engelhorn Sport zieht sein Angebot für den ehemaligen Kaufhof zurück und will ins neue ECE-Einkaufszentrum in Süd ziehen. Die Innenstadt-Einzelhändler von Top in Lu sprechen vom Flop in Lu. Beim am 18. September beginnenden Fotofestival erregt eine Bilderreihe besondere Aufmerksamkeit: Porträts von Klaus Dillinger, die dessen unaufhaltsamen Bartwuchs dokumentieren. Auf der Ausbildungsmesse Sprungbrett sucht Heyme Laiendarsteller fürs Turmschreiber-Projekt. Ein Shit-Storm auf Facebook verhindert dort im letzten Moment ein Brados-Konzert. Oktober Im Stadtratssaal nimmt der dritte Bewegungsparcours Gestalt an. Die Fraktionschefs in der ersten Reihe sitzen auf multifunktionalen Gymnastikbällen. Wer das Wort wünscht, muss vorab zehn Liegestützen machen, was die Dauer der Sitzungen erheblich reduziert. Wie auch eine zweite Maßnahme: Beim Betreten des Plenums muss jeder Politiker an einer zwischen die Türrahmen geklemmten Stange zehn Klimmzüge leisten. Daher lichten sich die Reihen. Vor Sitzungsbeginn wird jeweils Schürrles Flanke zu Götzes WM-Siegtor auf einer Großleinwand eingespielt. Jubeln ist Pflicht, um die Armstrecker zu trainieren. Die Groko torpediert Dobrindts Maut-Pläne. Die Kassenkabinen werden in rote Fangnetze verschnürt und im Rhein versenkt. Direkt neben einer Schürrle-Büste, die im Fluss aufgestellt wird. Heyme – umringt von mehreren Genossen – hält die Laudatio auf Kroatisch. Dillingers Bart reicht ihm bis zu den Knien. Beim ersten Spatenstich fürs neue Stadthaus muss er die Wolle hochbinden, um sie beim Schaufeln nicht zu gefährden. Seine Partei spendiert dem Beigeordneten einen Barbier-Besuch. „Sonst kann er sich die Lohse-Nachfolge in die Haare schmieren“, wird ein CDU-Mann zitiert, der anonym bleiben will. Die SPD nutzt die Gunst der Stunde und nominiert Euro-Jutta zur OB-Kandidatin für 2017. Motto: Es muss ein(e) Steinruck durch Ludwigshafen gehen. November Um Geld und Strom zu sparen, verfügt Lohse, dass der Lichterzauber künftig nur noch zweimal pro Woche angeknipst wird. Beim Kämmerer brennen angesichts dieser Bevormundung die Sicherungen durch: Mit einem Fackellauf durch die Stadt protestiert Feid, der weiße Kenianer, gegen den Beschluss. Heyme schlägt einen Lichterdschungel vor. Für 50.000 Euro will Daniela Katzenberger darin auftreten. Die Schürrle-Statue im Rhein verursacht die erste Havarie. Die Mannheimer fordern eine Sepp-Herberger-Figur neben der des Stürmers, um die WM-Erfolgs-Balance zu gewährleisten. Ludwigshafen empfindet das als Affront und droht nun selbst mit einer Maut. In der Nachbarstadt bildet sich die Bürgerinitiative „Megida“ (Mannheimer Europäer gegen die Instrumentalisierung Andrés). Ein angekündigter Marsch über die Hochstraße Nord wird wegen Einsturzgefahr abgesagt. Auf einem Warnschild des „Bueros für angewandten Realismus“ steht: Dumpfbacken demonstrieren in Dresden. Dezember Dillinger alias Nikoklaus eröffnet den Weihnachtsmarkt. Auf Druck der Merkels (Angela und Ernst) lässt er danach seinen Bart (endlich) stutzen. Die Matte wird zu Gunsten der Aktion 72 versteigert. Die CDU atmet auf, die AfD feiert das als Erfolg, wie aus einem aus Dresden abgeschickten Fax zu entnehmen ist. Im ehemaligen H&M-Gebäude eröffnet das erste Ein-Euro-Fitnessstudio. Im Poli-Fit wird der halbe Stadtrat Mitglied. Heyme leitet den SPD-Einsteiger-Kurs „Theater macht Beine“. An der Pegeluhr legt die Cassian Carl an. Die FDP mietet das Veranstaltungsschiff bis Jahresende (Motto: „Uns gibt’s noch“) und erhält dafür 1,8 Prozent Rabatt. 18 hatten die Liberalen gefordert. Als Die Drei Brados ihren neuen Hit „Liberal havariert heißt politisch abgeschmiert“ anstimmen, werden sie von Bord gejagt. Die Maut-Pläne scheitern, da sich der Abriss der Hochstraße auf 2024 verschiebt – der Würfelbunker lässt sich nicht entfernen. „Zum Ende meiner ersten OB-Amtszeit wird’s definitiv losgehen“, verspricht Jutta Steinruck großspurig. Als Lohse diese Nachricht erreicht, denkt sie über eine neue Frisur nach, schließlich wird sie bald zum zehnten Mal 50. Zweieinhalbmal so alt ist die BASF: Zum Abschluss der Feierlichkeiten anlässlich des 150. Geburtstags verkündet der Konzern eine Sensation: Der Nachfolgebau fürs Engelhorn-Hochhaus wird nicht 88, sondern 888 Meter hoch. Ein interner Namenswettbewerb des Vorstands fördert den Titel Lulatsch zu Tage, im Volksmund wird der Wolkenkratzer Riesenbock genannt. Wenn das keine Steilvorlage für den nächsten satirischen Jahresausblick ist …

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