Kultur Zwei Schwergewichte

Der kanadische Bassbariton Gerald Finley ist ein vielbeschäftigter, auf allen großen Opernbühnen schon lange heimischer Sänger. Umso schöner, dass er mit seinem aktuellen Liedprogramm und Julius Drake am Klavier jetzt auch bei den Schwetzinger Festspielen gastierte. Es gab Schubert-Lieder im ersten und eher Leichtgewichtiges von Francis Poulenc, Maurice Ravel, Marc-Anthony Turnage und Benjamin Britten im zweiten Teil. Und alle waren es zufrieden.

„Der Liedgesang gibt einem die Gelegenheit zu zeigen, wer man als Sänger wirklich ist“, war dem Liederabend als Motto vorangestellt. Präziser und selbstbewusster als Finley selbst kann man das eigene Tun kaum beschreiben. Das gleiche Selbstbewusstsein findet sich auch bei Julius Drake, dem Mann am Klavier. Den Kammermusikspezialisten für einen Liedbegleiter der Spezies „Bin ich zu laut?“ zu halten, wäre fast schon Blasphemie. Drake „begleitet“ nicht. Er ist gleich berechtigter und ausdrücklich akzeptierter Mitgestalter, der – salopp gesagt – nichts anbrennen lässt. Zwei solche Schwergewichte im Dienst der bedrohten Gattung Kunstlied, da weht schon ein wenig „Luft von anderen Planeten.“ Schuberts Goethe-Lieder, mit „Prometheus“ vorne und „An Schwager Kronos“ hinten, schienen in ihrer kontrollierten, extrem elaborierten Dramatik die Grenzen eines Liederabends zu sprengen. Das Gleiche bei vier Liedern nach Texten des mit Goethe verglichen marginalen Ernst Schulze: Seismografischer Sinn für auf engstem Raum wechselnde Haltungen und Attitüden, geistreiches Changieren zwischen jähem Ausbruch und fast tonlosen Rücknahmen. Zwei genuine Erzähler und Dramatiker zeigten dem Publikum, wie man Bravour ausstellt, ohne die Schicklichkeit zu verletzen. Manche fanden den Pianisten zu laut, andere das Rokokotheater zu klein für solchen Auftritt. Das Finley und Drake auch ganz anders können, wenn sie es denn wollen, zeigte sich im zweiten, der leichtgewichtigeren Seite des Liedgesangs gewidmeten Teil. Man gab Poulencs „Le Bestiaire“, eine Auswahl aus Ravels „Histoires naturelles“, drei dem Andenken seiner Katze Smiffy gewidmete Lieder des 1960 geborenen englischen Komponisten Marc-Anthony Turnage und vier posthum veröffentliche Folksong-Arrangements aus Brittens amerikanischer Zeit in den frühen vierziger Jahren, die den Komponisten von einer ungewohnt entspannten Seite zeigen. Alle Lieder handeln von Tieren und wie in den Händen der richtigen Interpreten selbst Marginales, um nicht zu sagen anspruchsvolles Blech zu purem Gold wird. Anlässlich seines Don Giovanni hat ein Kollege dem Sänger die „schönste, erotischste Bassbaritonstimme“ bescheinigt. In Schwetzingen war das kein Thema. Dass der Dramatiker und der Humorist Finley nur zwei Seiten einer Medaille sind war eine gern entgegengenommene Lektion. Und dass Pianisten nicht nur brave Zuarbeiter sein müssen.

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