Ludwigshafen Zeit des Aufbruchs

Die Ausstellung setzt eine Rudolf Scharpf gewidmete Reihe fort.
Die Ausstellung setzt eine Rudolf Scharpf gewidmete Reihe fort.

Mit frühen Holzschnitten von Rudolf Scharpf setzt das Wilhelm-Hack-Museum die Reihe seiner dem Künstler und Namensgeber gewidmeten Ausstellungen in der Scharpf-Galerie fort. Diesmal zusammen mit einem Zyklus von Monotypien zu Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ seines früh verstorbenen Zeitgenossen und Freundes Ernst Gassenmeier.

Ein Berufskünstler und ein bei der Anilin angestellter Chemiker, der auch ein bemerkenswerter Künstler war: Wie geht das zusammen? Nun, beide eint, dass sie erst in den Nachkriegsjahren voll durchstarten konnten. Scharpfs Holzschnitte entstanden in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, Gassenmeiers zwölf Illustrationen starker Musil-Zyklus ist auf 1951 datiert. Es wurde sein Schwanengesang, denn schon im Jahr darauf starb Gassenmeier wenige Tage nach seinem 39. Geburtstag bei einem Motorradunfall. Ein seltsamer Zufall wollte es, dass dies auf dem Weg zu einer Scharpf-Ausstellung geschah, die er hätte eröffnen sollen. Die in der Ausstellung vereinten Arbeiten fallen in die Zeit des Aufbruchs, eines großen Auf- und Durchatmens nach den Verheerungen des Krieges. Für die Kunst hatte sich plötzlich wieder ein Fenster in die Welt und auf die Kunst geöffnet. Nun galt es aufzusaugen, aufzuholen, auszuprobieren, den unverwechselbaren eigenen Stil zu finden. Beide pflegten Kontakte und Freundschaften zu Willi Baumeister, Rudi Baerwind, Walter Brendel und Rudolf Müller-Landau. Gassenmeier wiederum war mit Richard Laugs befreundet, dem Direktor der damals noch Städtischen Musikhochschule und Interims-Generalmusikdirektor am Mannheimer Nationaltheater. Beide gehörten zu den Gründern der „Vereinigung zeitgenössisches Geistesleben“, die sich in der heil gebliebenen Kunsthalle in Konzerten, Ausstellungen und Diskussionsrunden mit bisher verfemter Musik, Literatur und Kunst auseinandersetzte. Rudolf Scharpf ist in diesem Duo der leichtere, naiver vorgehende Fall. Direkter, weniger intellektuell gesteuert als Gassenmeier, dabei mit methodischer Konsequenz seinen Weg als Holzschneider suchend, was Seitenblicke aufs künstlerische Umfeld nicht ausschließt. Man kann die von Museumsdirektor René Zechlin getroffene Auswahl ziemlich gut auf ihre Entstehungszeit datieren. Die Auseinandersetzung mit dem Werk Frans Masereels steht sichtlich hinter Scharpfs Mappenwerk zu „Die Wandlung eines Schiebers“ nach der Novelle „Gudnatz“ des 1940 verstorbenen Hermann Stehr, eines in besseren Tagen mit Walter Rathenau befreundeten Schriftstellers, dessen Rolle im Dritten Reich dann mehr als zwielichtig war. In anderen Holzschnitten gefällt der ornamental in sich verschlungene Gestus, mit der er, mal näher, mal weiter entfernt von der Abstraktion, Figuren umreißt, entstehen lässt oder suggeriert. Liegende, Stehende, Sitzende. Man denkt an Henry Moore und einmal sogar an Picasso. Aber Scharpf bleibt immer Scharpf. Zu unziemlichen Anleihen bei den großen Kollegen kommt es nicht. Dass Ernst Gassenmeier trotz einer großen Retrospektive auf Schloss Villa Ludwigshöhe 2012 im Kunstbetrieb keine übermäßig prominente Rolle spielt, mag auch mit seinem frühen Tod zu tun haben. Natürlich hat der promovierte Chemiker auch eine nebenberufliche Ausbildung genossen, unter anderem an der Freien Akademie Mannheim bei Enrico Trummer. Der Plan, sich ganz der Kunst zu widmen, zerschlug sich. Während des Krieges war Gassenmeier bei der damaligen Anilin, heute BASF, „uk“, das heißt unabkömmlich gestellt; Kunst, so der als Autor und Herausgeber mit dem Werk des Vaters erläuternd und propagierend befasste Sohn Michael, ein emeritierter Literaturwissenschaftler, wurde seine Überlebensstrategie. Vielleicht ist es ja nicht ganz falsch, zu vermuten, dass dieser existentielle Hintergrund im Musil-Zyklus fruchtbar geworden ist. Als Gassenmeier sein intellektuell anspruchsvolles Illustrationswerk begann, war „Der Mann ohne Eigenschaften“, von Spezialisten abgesehen, so gut wie vergessen. Freilich, der im Wortsinn schwergewichtige Jahrhundertroman, in dem Betrachtungen zum Ende der Donaumonarchie und der Katastrophe des Dritten Reiches auf eine kompliziert-subtile Weise mit den Charaktereigenschaften und psychischen Befindlichkeiten des Romanpersonals zusammenfließen, hat seine Tücken. Er liest sich nicht leicht. Womit auch schon die Grenzen der Rezeption der mit raffinierten Spiegelungen, Verweisen, Verdichtungen und Interpretationen spielenden, zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changierenden Bilderfolge genannt wären. Ohne die Kenntnis Musils – noch besser mit den Erläuterungen Michael Gassenmeiers – geht bei diesen Monotypien fast nichts; es sei denn, man gäbe sich mit bloßem ästhetischen Wohlgefallen zufrieden. Termin Bis 7. Oktober in der Rudolf-Scharpf-Galerie in Ludwigshafen, Hemshofstraße 54

Aus Ernst Gassenmeiers Illustrationszyklus zu Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ aus dem Jahr 1951.
Aus Ernst Gassenmeiers Illustrationszyklus zu Robert Musils »Der Mann ohne Eigenschaften« aus dem Jahr 1951.
x