Ludwigshafen Winterreise in die Nische

Oliver Augst und E-Gitarrist Alexandre Bellenger interpretieren die Winterreise neu.
Oliver Augst und E-Gitarrist Alexandre Bellenger interpretieren die Winterreise neu.

Die Nische ist nicht viel mehr als eine Wandvertiefung in einem Treppenhaus. Wahrscheinlich würde niemand ihr beim Vorbeigehen groß Beachtung schenken. Vor einem Jahr änderte sich das jedoch, als Astrid Ihle das Treppenhaus in der Hemshofer Prinzregentenstraße 46 mit Kunst wiederbelebte. Beim Kultursommer waren dort Noten zu sehen und ein Gitarrist ohne Noten (auf Papier) zu hören.

Einst diente die Fläche einem Fotografen als kleines Schaufenster für seine Porträts. Sein Studio hatte er im Hinterhof, zu dem man durch das Treppenhaus gelangt und dabei die Nische passiert. „Als ich hier eingezogen bin, habe ich diese Nische im Treppenhaus so vorgefunden“, erzählt Astrid Ihle. „Von einer Nachbarin erfuhr ich von ihrer ehemaligen Verwendung. Früher kamen die Leute aus dem Hemshof hierher, um sich fotografieren zu lassen. Deswegen wollte ich diesen Ort als nachbarschaftlichen Treffpunkt zurückbringen.“ Gemeinsam mit Oliver Augst entstand so die Idee, die Nische regelmäßig mit einem Kunstwerk zu füllen und mit einer kleinen Vernissage Freunden, Nachbarn und Kunstinteressenten zu öffnen. Es herrscht eine sehr familiäre Atmosphäre. Die Besucher lassen es sich im grünen Hinterhof unter dem kühlen Blätterbaldachin gut gehen, reden angeregt miteinander oder wagen einen Blick in Astrid Ihles Wohnung, die sich direkt gegenüber der Nische befindet. Als Kuratorin beim Wilhelm-Hack-Museum ist sie mit Kunst bestens vertraut und hat in ihrem Flur so einige interessante Werke aufgehängt. „Fühlen Sie sich ganz frei und schauen Sie sich um, im Kühlschrank sind Getränke. Bedienen Sie sich einfach“, lädt sie die Besucher ein. Mit einer neuen Arbeit der Pariser Künstlerin Cidália Soares kam am vergangenen Samstag bereits die vierte Ausstellung in die Nische. Soares erstellt vor allem vielfältige Serien mit minimalistisch anmutenden Tuschezeichnungen. Für die Nische hat sie eine sehr filigrane Collage erstellt, die aus zwei Sorten von Notenpapier besteht. Die einzelnen Fragmente sind auf einem Plexiglas angebracht, das von hinten beleuchtet wird. So scheint die Zeichnung vor der Nische zu schweben. Das Licht lässt zudem abstrakt-geometrische Strukturen in der Collage sichtbar werden. Das Werk eröffnet einen kunsthistorischen Resonanzraum in Richtung minimalistisch-konzeptuelle Zeichnungen und bezieht sich durch den Rückgriff auf Notenpapier auf den konzertanten Rahmen ihrer Ausstellungseröffnung. Diesen übernehmen Sänger Oliver Augst und Gitarrist Alexandre Bellenger mit einer Interpretation von Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“. Etwas düster verzerrt stimmt Bellenger auf seiner E-Gitarre einen dumpfen, monotonen Rhythmus an, der die gedrückte Stimmung des Zyklus sehr gut aufgreift. Die Musiker präsentieren Auszüge der Winterreise, die sie über eine improvisatorische Ebene neu erklingen lassen. „Es ist sehr interessant mit Alexandre zu spielen, weil er Musik nur über die Ohren macht, nicht über Noten“, sagt Oliver Augst. „Gerade in der klassischen Musik ist das eine spannende Herangehensweise, weil sie die Stücke ganz anders öffnet.“ Die Künstlerin selbst hatte den Wunsch geäußert, die Eröffnung mit Liedern von Schubert zu kombinieren. Die Idee, eine Winterreise im Sommer aufzuführen, geht auf das Motto „Heimat/en“ des Kultursommers zurück. Denn Heimat (und deren Verlust) ist das zentrale Thema in Wilhelm Müllers Gedichten, die Schubert vertonte. So nehmen Musik, Kunst und Raum Bezug aufeinander und schaffen einen Ort, der zum Ankommen und Verweilen einlädt.

Eine Notencollage hat Cidália Soares für die Nische erstellt.
Eine Notencollage hat Cidália Soares für die Nische erstellt.
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