Ludwigshafen Wenn einer draußen bleiben muss

Geschlossene Gesellschaft: Jasmin Ellis, Evandro Pedroni und Michelle Cheung.
Geschlossene Gesellschaft: Jasmin Ellis, Evandro Pedroni und Michelle Cheung.

Glück hat, wer sich einen Theaterbesuch leisten kann. Nur wer das Geld, die Zeit, die Bildung, die Kontakte und das Wissen um diesen Termin hatte, fand sich bei der Premiere von „Lucky Bastards“ im Mannheimer EinTanzHaus ein. Zurücklehnen und konsumieren war nur in Maßen gestattet. Der amerikanisch-israelische Choreograph Edan Gorlicki hinterfragte die Macht der Privilegierten und lud das Publikum zur Selbstbefragung ein. Die Regeln gaben die Künstler vor – und die Zuschauer spielten mit.

Wenn Evandro Pedroni mit den Armen die Luft durchschneidet, tönt es „swuschsch“ wie bei einer Comicfigur. Wenn er mit den Füßen auftritt, scheint er durch Schnee zu knirschen. Wenn er nach einem Sprung landet, rumpelt es robotermäßig. Dass seine Bewegungen so cool wirken, hat er Philip Scheibel zu verdanken, dem Beatboxer, der alles mit Geräuschen untermalt. Doch eine Tänzerin ignoriert er: Michelle Cheung drängt sich dazwischen, aber ihre Schritte bleiben lautlos. Über den wütenden Versuch, ihr Ausschlagen mit „tschack, bumm!“ selbst zu kommentieren, lächeln die Zuschauer, bis sie schluchzend in die Knie geht. So bitter fühlt es sich an, ausgegrenzt zu werden. Warum es diese Tänzerin trifft, bleibt offen. Es geht nicht darum, wer warum wie ausgeschlossen wird, sondern dass jemand willkürlich entscheiden darf. Wie die Türsteher an der Bühne, die darauf bestehen, dass die Zuschauer ihre Schuhe ausziehen. Die das Publikum in Gruppen aufteilen und bestimmen, welche sich zuerst einen Platz suchen darf. Ausgedacht hat sich die Regeln der Mann, der oben von der Empore das Gewusel beobachtet. Übers Manipulieren hat Edan Gorlicki in „The Players“ nachgedacht, eine spielerische Versuchsanordnung erstellt und dafür in diesem Jahr den Stuttgarter Theaterpreis erhalten. Der 35-Jährige, der seit drei Jahren in Heidelberg wohnt, hat sich als nächstes ein schwieriges Thema vorgenommen: das System der Privilegien und kulturellen Dominanz. „Es ist ein verstecktes Machtsystem, von dem wenige Teile der Gesellschaft profitieren und von dem andere ausgeschlossen bleiben. Wer profitiert, ist sich dessen nicht bewusst, und wer außen vor bleibt, weiß nicht, wie es wäre zu profitieren“, erklärte Gorlicki in einem Gespräch. Er fragte sich, ob er als junger, männlicher Künstler in Europa wie in einer Blase lebe. In seinem Stück hat er ein treffendes Motiv gefunden, das in Variationen den Abend gliedert und beruhigt: Auf einem Quadrat aus Licht drängen sich der Tänzer und die zwei Tänzerinnen auf dem Boden. Selbstversunken und doch fein aufeinander abgestimmt erheben sie sich abwechselnd, stützen sich, tauchen untereinander durch – eine geschlossene Gesellschaft. Die Grenzen des Quadrats zu durchbrechen, darauf werden sie erst später kommen. Eine ist privilegiert: Jasmine Ellis wird ballerinenhaft emporgehoben, darf sich auf die anderen betten und schaut doch gelangweilt. Selbst die Animation im Urlaub, bei der das Publikum im Gleichtakt klatschen soll, kann sie nicht beeindrucken. Diese Szenen bleiben episodenhaft und werden von einer anderen Erzählspur durchkreuzt. Die niederländisch-marokkanische Sängerin Karima el Fillali spricht und singt von ihrem Leben zwischen zwei Kulturen und bringt eine warme persönliche Note ein, die allerdings mehr über interkulturelle Identität vermittelt als über kulturelle Dominanz. An die Frage des Machtgefälles knüpft sie nur mit einer Anekdote an. Sie erzählt, wie sie sich eine Konzertkarte nicht leisten konnte, sich aber hineinschmuggelte, indem sie würdevoll über den roten Teppich marschierte und wusste, dass der Wachmann ein Nachfragen nicht riskieren konnte. Ein Ermächtigung, die sich die Ohnmacht des Wachmanns zunutze macht und die Komplexität des Systems aufblitzen lässt. Herrschen darf, wer reich, männlich und weiß ist, heißt es im „Race, class, gender“-Diskurs. Und welche Stellung bekommt eine weiße Frau, die in einem armen, aber patriarchalischen Land reist? Wie begegnen sich ein reicher Nigerianer und ein Obdachloser in Deutschland? Wer ist privilegiert? Eine Antwort will Gorlicki nicht geben. Ihn stört vor allem, dass „diejenigen, die privilegiert sind, glauben, es besser zu wissen und für die anderen sprechen zu dürfen“. Einer, der das Geschehen hemmungslos kommentiert, ist der Rapper Tobias Borke. Als Moderator lässt er das Publikum darüber urteilen, ob Krieg schlimmer als fehlendes Trinkwasser ist, ob beschossen werden schlimmer als vergewaltigt werden ist. Erst heben sich die Hände zurückhaltend, dann routinierter. Und schließlich sollen einzelne Zuschauer andere herausdeuten, auf die eine geheime Kategorie zutrifft. Was dahinter steckt, erfahren sie, falls sie im Foyer das Gespräch suchen: „Wer hat Angst vorm Altern? Wer hatte kürzlich Sex?“ Die Zuschauer müssen in die Rolle der Bestimmer schlüpfen. Müssen? Spielverderber will man nicht sein, aber das Auswählen und Aussortieren hat ein Geschmäckle. Mit der deutschen Geschichte im kollektiven Gedächtnis werfen alle Mitmach-Angebote zugleich Fragen von Gruppendynamik und Autoritarismus auf und vermitteln etwas Unbehagliches. Fragen über Fragen. Ein letztes Wort dazu gibt es nicht. Termin „Lucky Bastards“ gastiert in einer Doppelvorstellung bei der Tanzbiennale Heidelberg am Freitag, 2. März, 19.30 bis 21.05 Uhr, im Zwinger, Zwingerstraße 3-5.

x