Ludwigshafen Wenn aus kleinen Schritten große werden

Die in Mannheim lebende Lisa Nippgen (links) hat ihre Chance genutzt und bei der deutschen Hallenmeisterschaft zwei Medaillen ge
Die in Mannheim lebende Lisa Nippgen (links) hat ihre Chance genutzt und bei der deutschen Hallenmeisterschaft zwei Medaillen gewonnen.

«Ludwigshafen». Von dem 60-Meter-Finale bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund im Februar ist den meisten Zuschauern wohl der phänomenale Lauf von Tatjana Pinto (LC Paderborn) in Erinnerung, die in 7,06 Sekunden siegte. Lisa Nippgen ist hingegen noch etwas ganz anderes in Erinnerung: Wie sie nach dem Rennen, bei dem es hinter Pinto sehr eng zugegangen war, im Innenraum stand, und auf der Anzeigetafel kein Ergebnis erschien. Ewig lang, so hat es jedenfalls Nippgen empfunden. Irgendwann kam dann die Hallensprecherin Julia Nestle zu ihr und gratulierte. Nippgen brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es eine Gratulation zu einem Medaillenrang war, sie Rang drei belegt hatte (7,40 sec). Nippgen sagt, es sei nicht leicht, die damals empfundene Euphorie heute in Worte zu fassen, so groß war die Freude: „Ich konnte es gar nicht glauben.“ Sie hat sicherlich von den verletzungsbedingten Ausfällen einiger starker Läuferinnen profitiert. Aber sie hat eben auch die Chance genutzt, die plötzlich da war. Das muss man auch erst einmal schaffen. „Ich habe versucht, mir keinen Druck zu machen, bewusst nicht versucht, alles perfekt zu machen. Dann wäre es nichts geworden“, sagt Nippgen. Sie nutzte einfach die Gunst der Stunde. Wie auch am Folgetag über 200 Meter. Sie gewann Silber (23,93 sec), stand aber in der Jahresbestenliste „nur“ auf Rang sechs. Plötzlich hatte sie – recht überraschend – zwei DM-Medaillen. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, um das zu realisieren“, sagt Lisa Nippgen. Dass es so gut lief, daran hat Mannheim beziehungsweise ihr Trainer Valerij Bauer einen großen Anteil. „Valerij ist ein mega guter Trainer“, sagt Nippgen über den Übungsleiter, der Verena Sailer 2010 zum EM-Titel über 100 Meter führte. Sie suchte sich den Studienort nicht nach dem Renommee der Universität aus. Sondern nach dem Renommee des Trainers. Sie studierte zuerst ein Jahr in Ludwigshafen Controlling. Weil ihr das nicht so gut gefiel, wechselte sie im September 2017 an die Universität Mannheim (Unternehmensjura). Während des Studiums in Ludwigshafen wohnte sie erst in einer Wohngemeinschaft, dann bei ihren Großeltern Renate und Herbert Schaffert in Oggersheim. Sie kann nun sportlich das machen, was sie sich schon als Kind erträumt hat. „Ich habe früh gewusst, dass ich Leistungssportlerin werden will“, sagt Nippgen. Der Weg dorthin, er war jedoch von Rückschlägen gepflastert. 2011 zog sie sich ein Knochenödem mit Haarriss zu, hatte Wasser im Knochen. Ein Orthopäde eröffnete ihr damals, das werde wohl nichts mehr mit Sport. Ein Schockmoment. Die Prognose bewahrheitete sich zwar nicht – aber die kommenden Jahre waren trotzdem nicht einfach, immer wieder war Nippgen verletzt: „Irgendwann hatte ich nur noch Angst, mich wieder zu verletzten. Aber aufgeben wollte ich nicht.“ Warum auch? Sie schaffte es in den verletzungsfreien Phasen in Endläufe bei deutschen Jugendmeisterschaften. In den vergangenen beiden Jahren blieb sie von Verletzungen verschont – und qualifizierte sich für die U20- und U23-Europameisterschaft. Bei der U23-EM 2017 erreichte sie Rang sieben über 100 Meter. Doch diese Starts bei internationalen Meisterschaften sollen erst der Anfang sein. Nippgen hat jedenfalls große Ziele und Träume: Ein Olympia-Start („2020 kommt vielleicht noch zu früh“), eine Staffel-Medaille bei internationalen Meisterschaften, ein erneuter Einzelstart bei der U23-Europameisterschaft 2019. „Und mal Deutsche Meisterin zu werden, wäre schon cool. Aber die Konkurrenz im Sprint ist halt schon sehr stark“, verdeutlicht Nippgen. Diese Saison will sie über 100 Meter die EM-Norm laufen. Die steht bei 11,35 Sekunden, Nippgens Bestzeit nur unwesentlich darüber (11,41). Die Europameisterschaft in Berlin im August hat sie im Hinterkopf, ohne sich großen Druck zu machen: „Ich glaube nicht, dass es für einen EM-Start reichen wird.“ Das ist sicherlich eine nicht ganz unrealistische Einschätzung aufgrund der Vielzahl an schnellen Sprinterinnen hierzulande und der begrenzten Anzahl an Startplätzen. Aber man weiß ja nie, was passiert, wie sich alles entwickelt. Ein paar Monate vor den deutschen Hallenmeisterschaften im Februar dieses Jahres hat Lisa Nippgen ja schließlich auch nicht damit gerechnet, bei den Titelkämpfen zwei Medaillen zu gewinnen.

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