Ludwigshafen Welt ohne Grenzen

Achille Mbembe, zwölfter Träger des Ernst-Bloch-Preises.
Achille Mbembe, zwölfter Träger des Ernst-Bloch-Preises.

Eine Lanze für die Flüchtlinge, die nach Europa streben, hat der Politikwissenschaftler Achille Mbembe gestern in seiner Rede gebrochen, mit der er sich für die Verleihung des Ernst-Bloch-Preises der Stadt Ludwigshafen bedankt hat. Der Förderpreisträger Maximilian Probst beschwor bei der Preisverleihung im Ernst-Bloch-Zentrum einen Scheideweg, an dem die Menschheit angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe stehe.

Mit einer Forderung, die in ihrer Unmöglichkeit den utopischen Geist Ernst Blochs atmete, beschloss Achille Mbembe gestern seine Dankrede. Sie endete in der Forderung, allen Bewohnern dieses Planeten, auch den nichtmenschlichen, das unveräußerliche Recht zu geben, sich frei in dieser Welt zu bewegen. Mit seinem Postulat führte der zwölfte Träger des Ernst-Bloch-Preises seit 1985 den Namensgeber des Preises und einen Gedanken Immanuel Kants eng. Diesen Gedanken Kants hatte Immacolata Amodeo, die Leiterin des Ernst-Bloch-Zentrums, bereits in ihrer Begrüßungsansprache angesprochen: das in der Schrift „Zum ewigen Frieden“ von Kant ausgesprochene und aus einem Weltbürgerrecht folgende Recht auf universelle Gastfreundschaft, das nicht auf einem Tauschverhältnis beruhe, weil es keine Gegengabe verlange. Gastfreundschaft sei keine Frage von Menschenliebe, betonte Achille Mbembe. Und Kants allgemeines Gastrecht schränkte er auf die Bedingung ein, dass der Gast in Gefahr sei, andernfalls sein Leben zu verlieren. Gastfreundschaft folge „aus dem gemeinsamen Bewohnen der Erde, aus dem Zwang zur Koexistenz“, sagte der Preisträger. „Keiner hat ein größeres Recht, auf dieser Erde zu leben, als ein anderer Bewohner und die Erde ist nicht unendlich ausdehnbar.“ Damit und mit einer sehr plastischen Schilderung des Leids von Flüchtlingen bezichtigte er die europäische Politik der Grenzsetzung der Inhumanität. Menschen, die sich niemals hätten vorstellen können, anderswo zu leben, würden aus Not gezwungen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und mit ihren Kindern und einem Bündel auf dem Rücken an Orte zu ziehen, von denen sie wüssten, dass sie dort nicht willkommen seien. „Ihre Bewegung wurde gestoppt!“, stellte Mbembe fest. Europa habe seine Grenzen militarisiert und bis tief in den afrikanischen Kontinent hinein ausgedehnt. Die als Eindringlinge betrachteten Flüchtlinge würden in „Lager für Fremde“ verbannt, beschönigend „Transitzonen genannt“, wo ihnen die Würde genommen werde. Europa mache deutlich, dass es nicht gewillt sei, diesen Menschen zu helfen und sie vor dem Ertrinken zu retten. Selbst das Asylrecht stelle Europa in Frage und greife auf alle erdenklichen Formen der Gewalt zurück. „Die Grenze wird immer mehr der Name der Gewalt, die unter dem Kapitalismus und der gesamten Weltordnung verborgen liegt“, sagte Mbembe. Damit griff er das Forschungsthema auf, das ihn in Büchern wie „Kritik der schwarzen Vernunft“ oder „Politik der Feindschaft“ beschäftigt hat: den Zusammenhang von Kapitalismus, Kolonialismus und Rassismus seit den Zeiten des transatlantischen Sklavenhandels. Richard Rottenburg, Professor für Sozialanthropologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, nannte Achille Mbembe in seiner Laudatio einen Kosmopoliten. In seiner Rede zeichnete er dessen Werdegang nach, der ihn von Kamerun, wo er 1957 geboren wurde, als das Land noch französisches und englisches Mandatsgebiet war, in das südafrikanische Johannesburg führte, wo er seit 2003 an der Universität lehrt. Zwischenstationen führten Mbembe vom Jesuitenkolleg in Kamerun zum Geschichtsstudium an die Pariser Sorbonne und zu Lehrtätigkeiten an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten, darunter an der Columbia Universität in New York und in Berkeley. Seine Bücher, so der Laudator, beschäftigten sich mit dem Thema Postkolonialismus und würden in Deutschland mit einer Neugier aufgenommen, die ihre Sichtbarkeit in Frankreich noch übertreffe. Der Kolonialismus heute, wie Rottenburg ausführte, sei nicht mehr auf Territorien und unterworfene Bevölkerungen angewiesen, sondern habe sich technologisch maskiert, der Mechanismus aber sei derselbe geblieben. Demgegenüber entwerfe Mbembe – entsprechend dem Blochschen „Erwartungsaffekt Hoffnung“ – eine entkolonialisierte Welt im planetarischen Maßstab. Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck hob hervor, dass Achille Mbembe, indem er sich für eine humane Welt im Sinne Ernst Blochs einsetze, neue Sichtweisen in Philosophie, Soziologie und Ethnologie eingeführt habe. Von dem Förderpreisträger Maximilian Probst, Jahrgang 1977, nannte sie dessen Buch „Verbindlichkeit. Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend“ und seine Veröffentlichungen als freier Publizist, die „weitere qualifizierte wissenschaftliche oder literarische Arbeiten“ erwarten ließen, wie dies die Richtlinie zur Preisvergabe vorsieht. Der Geehrte entwarf in seiner Dankrede „eine mögliche ökologische Bildung“ im Geiste Blochs und entsprechend seiner „Allianz-Technik“. Statt „Krone der Schöpfung“ habe der Mensch in seiner Naturzerstörung sich als „Abschaum der Schöpfung“ erwiesen, sagte Probst. Dabei seien Verantwortlichkeiten von wenigen und die Folgen für viele Unschuldige, wie zum Beispiel einen Bauern im Sudan, ungerecht verteilt. Der Ernst-Bloch-Preis ist mit 10.000 Euro, der Förderpreis mit 2500 Euro dotiert.

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