Ludwigshafen Vom Leiden der Armen

Zu Gast in Mannheim, „einer deutschen Stadt, deren Namen keiner kennt“: Stacy Hardy.
Zu Gast in Mannheim, »einer deutschen Stadt, deren Namen keiner kennt«: Stacy Hardy.

Die Mannheimer Schillertage präsentieren nicht nur aktuelle Inszenierungen von Schiller-Dramen, sondern auch kleinere Produktionen, die formal und inhaltlich oft wenig mit Schiller zu tun haben. Auf der Studiobühne war Stacy Hardy aus Südafrika in einer „Lecture Performance“ in englischer Sprache zu erleben („My country is full of holes and so is my body“). Ihre persönliche Tuberkulose-Erkrankung sieht sie als Symptom der Zustände in ihrem Heimatland.

Man glaubt heute zu wissen, dass Schiller im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen einer Tuberkulose gestorben ist. Andere meinen, unter ihnen das Team dieser 20. Schillertage, das als Festival-Motto „Fieber“ gewählt hat, die Ursache sei eine Malaria gewesen, die er sich in Mannheim zugezogen habe. Schiller hat von „Fieberkrämpfen“ seiner Zeit gesprochen, die sich wohl eher auf die Französische Revolution und die durch sie ausgelösten epochalen Veränderungen bezogen als auf persönlich durchlittene Fieberschübe. Es ist ein merkwürdiges deutsches Phänomen, alles und jedes auf Schiller zu beziehen. Bereits zu Lebzeiten war der Dichter populär und auch schon missverstanden. Danach hat fast jede Generation ihn verehrt, benutzt, missbraucht, wie es der jeweilige Zeitgeist mit sich brachte. Außerhalb der deutschsprachigen Länder ist Schiller kaum bekannt. Daran haben auch die Internationalen Schillertage nichts geändert. In einer nachträglich eingefügten Flughafenszene spricht Stacy Hardy von ihrer Einladung in „eine deutsche Stadt, deren Namen keiner kennt“. Von der voll besetzten Zuschauertribüne kommt verständnisinniges Lachen. Hardy steht in einer anderen europäischen Tradition als der politisch-philosophisch-dramatischen von Schiller: der künstlerischen, primär literarischen Auseinandersetzung mit der Tuberkulose. Sie war eine gefürchtete Volksseuche, die hauptsächlich die armen Leute befiel. Aber auch die gehobeneren Schichten und nicht wenige namhafte Künstler sparte sie nicht aus. Diese suchten oft vergeblich Heilung in feinen Luftkursanatorien wie Davos. Nachdem Robert Koch den Erreger entdeckt hatte und spezifische Antibiotika entwickelt worden waren, schien die Krankheit besiegt. Doch manche Bakterienstämme sind resistent geworden, und nicht nur in Südafrika ist TB Todesursache Nummer eins. Die „Performance“ genannte Avantgarde-Theaterkunst macht im Nationaltheater besonders bei den Schillertagen Terrain gut. Auf deren Stilvariante „Lecture“ trifft Hardys Lesung aber nur wenig zu. Mit ihrem literarischen Anspruch hätte sie in ein Literatur-Festival gepasst. Die Autorin las sprachlich ausdrucksvoll, in Mimik und Gestik anschaulich. Dazu liefen vergraute Schwarzweiß-Videos über eine Leinwand. Von medizinischer Dokumentation – Tabellen, Röntgenaufnahmen, Schaubildern, medizinischen Gerätschaften, Formularen – gehen sie zu künstlerischer Abstraktion von Bakterienkolonien, Fahrten durch Minentunnel und anderem über, wobei Text und Bild einander überlappen. Für das Publikum ergibt sich die Schwierigkeit, Text und Bild gleichzeitig voll konzentriert wahrzunehmen und einander richtig zuzuordnen. Stacy Hardy stammt von weißen Einwanderern ab, die in den Minen gearbeitet haben. Sie haben die Tuberkulose eingeschleppt. Hardy spürt, dass in ihrem Körper etwas ist, das ihn langsam auffrisst. Ihren Sturm von Gefühlen, deren größtes die Angst ist, schildert sie in umfassender Ausführlichkeit. Auf Verleugnung, die auch von außen kommt (TB ist eine Krankheit der Schwarzen, du bist doch weiß!) folgt ein archaisches persönliches Schuldgefühl: Wenn du krank bist, hast du es verdient! Und schließlich ein Bekenntnis zu Verantwortlichkeit gegenüber denen, die jetzt leiden müssen. Ein Schwenk geht zu Dr. Basson, der Leiter eines bakteriologischen Waffenprogramms in Südafrika war, das auch gegen Schwarze eingesetzt werden sollte. Es folgen gefühlt endlose medizinische Fakten in Text und Video. Es schwirrt einem der Kopf, und man ist froh, wenn die Ich-Erzählung weitergeht. Hardy ist jetzt im Krankenhaus. Sie wird umsorgt, denn sie ist weiß. Es ist ein berühmtes Krankenhaus, an dem einst Dr. Barnard tätig war, der die erste Herztransplantation vorgenommen hat. So kommt Stacy Hardy von ihrer Krankheit mit kolonialer Vorgeschichte auf die globale Seuche Tuberkulose, auf das Krankenhaus, die Ärzte und ein Gesundheitssystem, das die Reichen bedient, die Armen und Diskriminierten aber meist außen vor lässt.

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