Rheinpfalz Techno-Festival in Mannheim: Time Warp spiegelt Sehnsüchte einer Generation

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Was 1994 als Rave in der Ludwigshafener Walzmühle begann, ist mittlerweile eines der bedeutendsten Technofestivals der Welt.

Wenn es um 6 Uhr hell wird, beginnt die Time Warp nochmal von vorne. Für Leute, die einfach mal eine Nacht lang zu elektronischer Musik feiern wollen, ist es Zeit zu gehen. Für einen Großteil des Publikums aber geht es jetzt richtig los. Denn zum einen machen sich zahlreiche Nachtmenschen wegen des günstigen Sonntagstickets erst im Morgengrauen auf den Weg. Zum anderen fängt für den harten Kern die eigentliche Party erst an, wenn man unter sich ist.

Keine verrückte Jugendkultur 

Heute trifft man hier mehr “normale Leute” als vor ein paar Jahren. Das mag unter anderem daran liegen, dass viele Raver erwachsen geworden sind, sich den alljährlichen Besuch auf der Time Warp ein mal im Jahr aber nicht entgehen lassen möchten. Vor allem aber ist Techno heute keine verrückte Jugendkultur mehr, sondern bei unternehmungslustigen Leuten unter vierzig ganz normal. Und wenn die ganze elektronische Musikwelt entweder anreist oder zumindest interessiert Richtung Mannheim blickt, dann wollen viele einfach mal dabei gewesen sein. Ob das Programm aus Rücksicht auf die Besucherstruktur deutliche Veränderungen im Vergleich zu den letzten Jahren aufweist, sei mal dahingestellt. Tatsache ist, dass einige der großen Stars deutlich früher ins Spiel kommen als gewohnt. Der legendäre Laurent Garnier etwa, dessen morgendliche Sets auf dem taghellen fünften Floor seit Jahren zu den absoluten Fixpunkten gehören, durfte in diesem Jahr zusätzlich um zwei Uhr auf dem dritten Floor ran.

Feierwütige Masse gepackt

Schon um zehn ist auf den beiden großen Bühnen die Hölle los. Es schlägt die Stunde von zwei DJs, die keine weite Anreise hinter sich haben, aber auf ihrer Reise aus kleinen Clubs auf die Time Warp einige Umwege über das Ausland auf sich nehmen mussten. Einer davon ist der Stuttgarter Konstantin Sibold, ein Experte für den Übergang vom luftigeren Aufwärmprogramm hin zum marschierenden Techno. Während sich der Floor immer mehr füllt und teilweise schon kein Durchkommen mehr ist, erhöht Sibold mit jedem Track gefühlvoll den Schub. Die Spannung entlädt sich zum ersten mal, als Boris Brechja mit seinem Kopfschmuck hinter dem DJ-Pult auftaucht. Die Maske kaufte sich der gebürtige Ludwigshafener einst spontan in Brasilien, wo seine Karriere vor Jahren in Gang gekommen war. Aus Spaß trug er sie beim Auflegen, seither gehört sie ebenso zu seinen Markenzeichen wie die kraftvollen und zugleich melodiösen Produktionen. Sein überfälliges Debüt auf der Time Warp ist ein triumphales Heimspiel, denn Brechja hat den richtigen Sound und weiß, wie man eine feierwütige Masse anpackt.

“Leute super, Musik super, alles super.”

Während die Stimmung drinnen überkocht, stehen zwei gut gekleidete Niederländer am Bratwurststand. Martijn ist Anwalt und aus Eindhoven angereist, sein bester Freund Guus ist Lehrer in Breda. Sie sind begeistert von ihrer ersten Time Warp: “Leute super, Musik super, alles super.” Die Frage nach ihren Highlights stößt auf Ratlosigkeit. “Ich weiß nur, dass wir da drüben in der Halle waren” sagt Martijn und lacht. Die beiden sind nicht wegen der großen Namen gekommen, sondern um mit Leuten aus ganz Europa zu feiern. Schade, dass sie keine Zeit haben, um die Region besser kennen zu lernen. “Wir schlafen im Auto und wenn das Bier draußen ist, fahren wir nach Hause.” Das Geheimnis des Festivals ist nicht die aberwitzige Ansammlung von Stars wie Ricardo Villalobos, der als erste Platte bei seinem ungewohnt frühen Set prophetisch einen Remix des Doors-Klassikers “Riders on the Storm” aus dem Koffer zieht. Es sind die Menschen, die zusammen auf eine Zeitreise ins Ungewisse gehen. Und auch wenn sich nicht jeder ohne unerlaubte Hilfsmittel auf diesen Trip einlassen kann, ist die Stimmung auf der Time Warp doch jedes Jahr aufs Neue ein beeindruckender Beweis für die Friedfertigkeit einer Generation, die sich angesichts der Fragmentarisierung der Gesellschaft wenige Dinge sehnlicher wünscht als das Erleben von Gemeinsamkeit.

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