Ludwigshafen Sirenen locken in die Kunsthalle

Mit seiner farbtrunkenen Malerei gehörte Henri Matisse zur Avantgarde der französischen Moderne. Sein Ölgemälde „Offenes Fenster
Mit seiner farbtrunkenen Malerei gehörte Henri Matisse zur Avantgarde der französischen Moderne. Sein Ölgemälde »Offenes Fenster« entstand 1905 (geringfügig beschnitten).

Kann ein Haus von der Größe der Mannheimer Kunsthalle das überhaupt leisten? Eine Retrospektive auf das unkonventionelle Werk von Henri Matisse (1869-1954) mit 120 Werken und vielen kostbaren Leihgaben aus aller Welt? „Wir wollen uns nicht überschätzen“, sagt die Kunsthallen-Direktorin Ulrike Lorenz bei der Pressekonferenz am Freitag selbstkritisch und bescheiden. Aber natürlich traut die Frau, die in diesem Jahr zur Klassik-Stiftung Weimar wechselt, das ihrem Team zu und freut sich auf den „Augenschmaus“. Die Kuratoren wollen Matisse nicht nur als Maler, sondern auch als Bildhauer vorstellen und die deutsch-französischen Beziehungen herausarbeiten. „Matisse wäre nicht zu dem geworden, was er ist, ohne die deutschen Sammler“, sagt Lorenz. Mit seinen schroffen Pinselstrichen und der unnatürlichen Farbgebung, die damals die Kritiker erzürnte, gehörte er zu den „Fauves“. Werke seiner ebenso „wilden“ Weggefährten von damals – Henri Manguin, Albert Marquet und Georges Braque – werden die Schau ergänzen ebenso wie Gemälde der Expressionisten, die von Matisse beeinflusst wurden wie August Macke, Gabriele Münter oder Max Pechstein. Viele deutsche Künstler wie Hans Purrmann wurden von ihm inspiriert – die dritte Erweiterung. Den Schlusspunkt setzen vier „Rückenakte“ aus Bronze, von denen einer der Kunsthalle gehört. „Der vielleicht souveränste“, sagt Lorenz, nun gar nicht mehr bescheiden. Nur für die Zeit der Matisse-Ausstellung will die Kunsthalle das Eintrittsgeld von 10 auf 14 Euro erhöhen, setzt aber weiter alles auf eine Karte: nur einmal Eintritt zahlen, um alles zu sehen und sich frei im Haus zu bewegen. Eintrittsfrei bleibt der erste Mittwoch im Monat, der mit knapp 2000 Gästen hervorragend besucht sei. Auch die bis 20 Uhr verlängerte Öffnungszeit werde sehr gut angenommen. Rund 160.500 Besucher haben sich die Kunsthalle seit der Eröffnung im Juni angesehen, und diesem Aufwärtstrend will Lorenz mit dem Frankreich-Schwerpunkt nachhelfen. „Nachholbedarf“ sieht sie allerdings bei der internationalen Ausstrahlung. 80 Prozent Besucher kamen bisher aus der Region und nur 20 Prozent von außerhalb. Ein cleverer Schachzug in diesem Sinne: Um die Arbeiten am Neubau zu dokumentieren, hat Lorenz den Avantgardefilmer Heinz Emigholz mit seinen „schrägen Architekturfilmen“ gewonnen – wissend, dass sein Werk auf internationalen Festivals gezeigt wird und damit die Kunsthalle bekannter macht. In Mannheim ist seine Arbeit ab 28. März in den Kuben zu sehen. Aber erst einmal sollen die Nixen und Undinen des Bildhauers Henri Laurens (1885-1954) die Besucher ab 28. Februar in die Kunsthalle locken. Erst von Auguste Rodin geprägt, wendete sich der Steinmetz in seinem Frühwerk den geometrischen Formen des Kubismus zu, bevor er zu seinem organischen Stil mit den prallen verschlungenen Meerwesen fand. Natürlich rankt sich die „Wellentöchter“-Ausstellung ebenfalls um Werke der eigenen Sammlung. Die übrigens erweitert wird: Im Dezember für 426.800 Euro gekauft, soll in diesem Jahr die Schwarzweiß-Fotografie „Approach“ von Jeff Wall hertransferiert werden. Die rätselhafte und skulpturale Komposition einer Frau in prekären Verhältnissen füge sich gut in die Sammlung. Nur als Leihgabe werden indes 34 Grafiken für „Beschlagnahmt!“ ab 22. März nach Mannheim zurückkehren, darunter der Farbholzschnitt „Frau in der Nacht“ von Ernst Ludwig Kirchner. Ausgerechnet weil die ersten Direktoren, Fritz Wichert und Gustav Hartlaub, avantgardistische Kunst und Werke der französischen Moderne ankauften, war die Kunsthalle von den Beschlagnahmungen der Nationalsozialisten besonders betroffen: 471 Grafikarbeiten, von denen 270 zerstört wurden. Schon für seinen Ankauf von Edouard Manets „Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“ (1868-69) wurde Wichert 1910 angefeindet – heute bildet es das Herzstück, das ab 29. März neu präsentiert wird: mit Blick auf den Ankaufsstreit. Kultur

Die Bronze-Plastik „La Sirène“ (1945) von Henri Laurens.
Die Bronze-Plastik »La Sirène« (1945) von Henri Laurens.
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