Rhein-Pfalz Kreis Schwere Jugend, lange Liste

«Schifferstadt/Speyer.» Ein 20-Jähriger, der derzeit schon wegen anderer Verurteilungen in der Jugendstrafanstalt (JSA) Schifferstadt einsitzt, ist wegen zwölf weiterer Delikte angeklagt gewesen, die er alle zwischen Oktober 2017 und Januar 2018 begangen haben soll. „Quer durchs Strafgesetzbuch“, wie Richterin Alexandra Umealo-Wells am Verhandlungstag meinte. An dessen Ende erhielt er eine Einheitsjugendstrafe – verbunden mit der Jugendstrafe, die er gerade absitzt – von zwei Jahren, sechs Monaten.

Auf der Liste stehen: räuberischer Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von zehn Euro – räuberisch, weil ihm die Mitarbeiterin nachging und er mit Gewalt drohte. Diebstahl von einem Handy und Diebstahl einer Börse mit wenig Inhalt. Körperverletzungen – er trat mehrfach seine Lebensgefährtin –, Beleidigungen und Hausfriedensbruch. Das Sortiment der Straftaten wird ergänzt mit dem Besitz von Amphetaminen, zweimal war er bei Kontrollen damit aufgefallen. Alle Taten räumte der Angeklagte ein und machte überhaupt einen sehr offenen, aufrichtigen Eindruck. Seine strafrechtliche „Karriere“, die bei der Verhandlung vorgestellt wurde, ist bemerkenswert: Seit 2012, damals war er 15 Jahre alt, gibt es regelmäßige Verurteilungen, erst wurden die Taten mit Verwarnungen geahndet, dann gab es Jugendstrafen. Allerdings hatte es das Schicksal bei der Auswahl seiner Eltern auch nicht gut gemeint. Beide Eltern waren schwer rauschgiftsüchtig, der Vater dazu alkoholabhängig. Die Mutter starb infolge ihrer Heroinabhängigkeit vor etlichen Jahren. Seit seiner Geburt lebten die Familienmitglieder als Mietnomaden, sie zogen also von einer Wohnung zur nächsten, ohne Miete zu zahlen. Die Mutter finanzierte ihren Rauschmittelkonsum mit Prostitution. Später, obdachlos geworden, zogen sie auf einen Campingplatz in den Niederlanden. Bei einem Brand des Zeltes wurden er und sein Bruder schwer verletzt. Mit dem Vater kamen sie wegen medizinischer Versorgung zurück nach Deutschland. Die Mutter blieb. Sein weiteres Leben war nun durch einen Wechsel von Kinderheim zu Kinderheim zu Pflegefamilien geprägt, unterbrochen von Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Niemand wurde mit ihm fertig. Er besuchte eine spezielle Schule, irgendwann gaben auch dort die Lehrer auf: Ein Eingliedern in einen normalen Klassenverband sei nicht möglich, hieß es damals. Der Angeklagte leidet unter ADHS, einer Aufmerksamkeitsstörung, hat sich aber anfänglich geweigert, Medikamente zu nehmen. Seit seinem 13. Lebensjahr nimmt er dafür Betäubungsmittel – mehr oder weniger alles, was ihm unter die Finger gerät außer Heroin. Durch die Amphetamine sei er bei den Diebstählen seit fünf und mehr Tagen ohne Schlaf gewesen, sagte sein Verteidiger, Rechtsanwalt Christian Giloth aus Alzey. Der Bericht der Jugendgerichtshilfe führte aus, dass der junge Mann kaum soziale Kompetenzen hat, dafür aber zu plötzlichen und aggressiven Wutausbrüche neigt, die ihn zu einer Gefahr für seine Umgebung machten. „Er vertraut niemandem und hat so gut wie kein Selbstwertgefühl“, heißt es in dem Bericht. Dazu komme, dass sich der junge Mann selbst verletze. Doch es gibt Perspektiven. Denn bei der Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht sagte er, dass er ein Ziel habe: Er wolle den Hauptschulabschluss machen und, wenn alles gut gehe, sogar eine Lehre. Tatsächlich sei es in den letzten Monaten besser mit ihm geworden, bescheinigt der Bericht. Ganz ohne Hoffnung ist also sogar dieser Fall nicht. Sogar seine Freundin habe ihn in der JSA besucht, erzählte er, wenngleich die Beziehung nicht mehr zu retten war.

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