Rhein-Pfalz Kreis Neuhofen: Die Suche nach der Gewissheit

An Sommer und Ferien denkt am Neuhofener Badesee Steinerne Brücke im Moment niemand. Zu schlimm ist das Geschehene, die Polizei
An Sommer und Ferien denkt am Neuhofener Badesee Steinerne Brücke im Moment niemand. Zu schlimm ist das Geschehene, die Polizei schippert mit einem Schlauchboot über das Wasser.

Wasservögel landen, die Sonne brennt auf den Badesee Steinerne Brücke in Neuhofen. Idyllisch. Im Grunde der perfekte Sommer. Doch es sind aktuell keine schönen Tage. Seit kapp einer Woche wird eine 54-jährige Schwimmerin vermisst. Sie ist ins Wasser gegangen – und kam nicht zurück. DLRG und Polizei suchen das Gewässer ab – gefunden haben sie die Frau bislang nicht. Aber was sie erwartet, ist allen bewusst.

«Neuhofen.» Als der Taucher etwas schwerfällig aus dem Wasser stapft, erinnert er an eine urige Version des Ungeheuers aus der Tiefe. Schlingpflanzen haben sich um seine Sauerstoffflaschen gelegt, Seegras klebt an seinem Neoprenanzug. „Du siehst aus wie der Gemüsegarten Rhein-Pfalz“, sagt sein Polizei-Kollege am Ufer und lacht. Rund 90 Minuten war der Taucher an diesem Donnerstagvormittag im Neuhofener See Steinerne Brücke, auf der Suche nach einer seit knapp einer Woche vermissten Frau. Er weiß, was er im trüben Wasser möglicherweise ertasten könnte. Ein wenig Spaß muss trotz des Schreckens, den dieser Gedanke auslöst, sein. Anders geht es wohl gar nicht. „Ich wurschtel mich hier mal frei“, sagt der Taucher und streift die Flossen von den Füßen.

Die Polizei geht von einem Vermisstenfall aus

Baden ist der zweitliebste Zeitvertreib der Deutschen, er kommt direkt nach dem Radeln. 25 Millionen Menschen schmeißen sich laut DLRG jedes Jahr Land auf, Land ab ins kühle Nass, liebend gerne in der Natur, nicht im Schwimmbad. Auch die 54-Jährige wollte vergangenen Sonntag im Neuhofener Badesee schwimmen gehen, berichtet die Polizei. Sie wurde von ihrem Lebensgefährten zum See begleitet, ging ins Wasser – und kam nicht mehr zurück. Die Ermittler fanden am Ufer Kleidung, was sie zum Schluss bringt, dass der Frau im See etwas zugestoßen sein muss. „Das Ereignis wird zur Zeit als Vermisstenfall bearbeitet“, sagte ein Polizeisprecher zur RHEINPFALZ. Eine trügerische Idylle umgibt in diesen Tagen den See Steinerne Brücke, rund 58.000 Quadratmeter groß, in den 70er-Jahren entstanden. Polizei und DLRG fahren mit Schlauchbooten über das Wasser, die Sonne knallt auf die Oberfläche, am Abend taucht sie das Gelände in ein ganz besonderes, rötliches Licht. Wasservögel landen. Der Duft von Grillgut aus den angrenzenden Gärten liegt in der Luft. Urlaubsstimmung. Doch an Ferien denkt hier niemand, zu schlimm ist das Geschehene. Denn es ist vor allem ein Satz von Frank Markgraf von der Neuhofener DLRG-Ortsgruppe, der sich über die Woche in das Bewusstsein eingebrannt hat – und dessen tiefere Bedeutung: „Es ist wohl keine Rettungsaktion mehr, sondern eine Bergungsaktion“, sagte er. So lange ein Mensch lebt, wird er in der Sprache der Einsatzkräfte gerettet. Nur Leichen werden geborgen.

Am Grund des Sees hat das Wasser nur noch 6 Grad

Konzentration und Anspannung gehen für den Polizeitaucher bei seiner Arbeit unter Wasser Hand in Hand. Er tastet sich durch alles mögliche, was dort unten sein kann. Der See in Neuhofen ist bis zu 16, 17 Metern tief, am Grund wartet eine etwa drei Meter dicke Schlammschicht. Zu jeder Zeit ist der Taucher über eine Leine mit einem Kollegen am Ufer verbunden, zur Absicherung und Kommunikation. Er dirigiert ihn, spricht mit ihm, knüpft leere Plastik-Wasserflaschen als Markierungsbojen an die Leine. Der Taucher gibt die Tiefe durch, auf der er sich gerade befindet und die Sichtweite – mal sind es zwei Meter, mal nur ein halber. Je weiter er nach unten geht, desto dunkler wird es. Und kälter. An der Oberfläche hat das Wasser zwischen 25 und 26 Grad, weiter unten sind es nur noch sechs Grad. Deshalb sind die Taucher auch relativ dick angezogen. Wenn ein Mensch ertrinkt, bleibt sein Körper in den meisten Fällen unter Wasser und versinkt. Ein toter Körper steigt dann wieder auf, wenn der Verwesungsprozess einsetzt und die entstehenden Fäulnisgase ihm genug Auftrieb geben. Das geschieht in warmem Wasser schneller als in kaltem. Bei um die fünf Grad Wassertemperatur passiert mit dem Körper recht wenig, sagen Forensiker. Wann und ob es im Neuhofener See so weit ist, dass möglicherweise eine Leiche nach oben treibt, wisse niemand genau, sagt einer aus dem Polizei-Team, der am Ufer steht. „Es kann Wochen dauern oder auch Monate.“

Jeder Tag ohne Ergebnis geht an die Substanz

Der Mann zieht an seiner E-Zigarette. Fast stoisch schaut er auf den See, atmet die süßlich riechende Dampfwolke aus. Für die Männer der Polizei ist es ein bisschen Routine. Auch das Wissen, jederzeit eine Leiche im Wasser finden zu können, bringt sie nicht aus der Ruhe. Wie lange nach einer Person gesucht wird, müsse immer im Einzelfall entschieden werden, sagt der Polizist. Aber wenn alle Suchmöglichkeiten ausgeschöpft sind, müsse man sich irgendwann eingestehen, dass es keinen Sinn mehr ergibt und die Situation akzeptieren, wie sie ist. Nächste Woche sollen Spezialhunde zum Einsatz kommen, die an der Wasseroberfläche den Geruch von Leichen wittern können. Den Angehörigen steht derzeit psychologische Betreuung zur Verfügung, bestätigt die Polizei. Jeder weitere Tag ohne Ergebnis geht an die Substanz. Direkt am See verläuft ein Weg mit feinem Kies entlang. Wer hier vorbei radelt, hält quasi automatisch an, um einen Blick auf die Suche zu erhaschen. Viele treibt die Frage um, warum der Einsatz so schwierig ist. „Da sind zig Taucher unterwegs und suchen die Frau“, sagt ein Radfahrer, „und sie finden einfach nichts.“ Natürlich ist das Unglück Thema in Neuhofen und der Umgebung. Ein Anwohner kommt an einem Vormittag an den bis auf Weiteres gesperrten Badestrand. „Gibt es schon etwas Neues?“, fragt er. Es ist kein Voyeurismus, der die Menschen hier antreibt. Ihre Neugier erweckt eher den Eindruck aufrichtiger Anteilnahme. „Furchtbar ist das“, sagt eine derer, die am Ufer stehen, „ganz furchtbar.“

Gründe für eine Panik bei einem Schwimmer gibt es viele

Immer wieder kommen Luftblasen an die Wasseroberfläche. Aus dem Kopfhörer des Leinenführers am Ufer dringt eine Stimme aus der Tiefe. Das, was der Taucher sagt, gibt eine Vorstellung für die Gefahren, die in einem Badesee existieren: Kaum Sicht, Pflanzen, die sich von einem Moment auf den anderen um das Bein des Schwimmers legen können, plötzliche Tiefen. Das kann eine Panik auslösen. Fünf Minuten vor zwölf Uhr sagt ein weiterer Polizist: „Wenn er fertig ist, machen wir Schluss.“ Der Taucher kommt wenig später zurück an Land. Wieder kein Fund. Aufräumen, abduschen. Feierabend. Am nächsten Morgen geht es weiter. Auch wenn es die schlimmsten Befürchtungen nur bestätigen würde, ist die Suche nach der vermissten Frau vor allem eines – die Suche nach der Gewissheit.

Ein Taucher kommt wieder an Land. Abduschen. Feierabend.
Ein Taucher kommt wieder an Land. Abduschen. Feierabend.
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