Ludwigshafen Mörderische Schwestern

Der Vater fällt: Szene aus Ersan Mondtags Kölner „Räuber“-Inszenierung.
Der Vater fällt: Szene aus Ersan Mondtags Kölner »Räuber«-Inszenierung.

Sie heißen immer noch Karl und Franz und nicht Karla und Franziska. Aber sie werden von den Schauspielerinnen Lola Klamroth und Sophia Burtscher gespielt, die historische Frauenkleider tragen, lange blonde Haare haben und sich überhaupt wie Frauen verhalten, die in ein Stück von Schiller geraten sind und ein schwieriges Verhältnis zum Vater haben. Die eine fühlt sich verkannt und übergangen und nimmt auf dem Weg zum Erbe auch Vatermord in Kauf. Die andere will die Welt retten oder zumindest sich selber und schreckt, als sie sich vom Vater verstoßen glaubt, auch vor Gewalt und Massenmord nicht zurück. Zwei junge Menschen, die gegen die stumpfe Autorität der Vätergeneration anrennen, so ist das bei Schillers „Räubern“, nur dass es in diesem Fall halt nicht Söhne sind, die aufbegehren, sondern Töchter. Ersan Mondtag, aktueller Shootingstar am Regiehimmel, hat sich den Geschlechterwechsel für seine Kölner Inszenierung der „Räuber“ ausgedacht. In Zeiten von „Gender Trouble“, in denen die Frage des Geschlechts nicht als biologische Gegebenheit angesehen wird, ist er damit ganz aktuell. Auf Schillers Stück angewandt, bringt diese Maßnahme aber herzlich wenig, die Brüder Moor haben ja kein Problem mit ihrer Geschlechteridentität, sondern mit ihrem Vater und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Zu diesen Fragen wiederum bietet Mondtags Inszenierung wenig Neues. Der von Bruno Cathomas als seniles Gespenst am Rande des Wahnsinns gespielte Graf von Moor ist da ein ganz schwacher Vater. Dem einen Sohn kann er nicht helfen, dem anderen steht er nicht wirklich im Weg. Ermorden müsste diesen jammernden Zittergreis niemand, Abschiebung ins Pflegeheim würde vollkommen genügen. Und die Gesellschaft, gegen die Karl bei Schiller so pathetisch aufbegehrt? Im deutschen Osten habe er seine Inszenierung angesiedelt, hat Mondtag in einem Interview gesagt, Karl Moor und seine Bande als rechte Identitäre gesehen. Das wäre durchaus eine Deutungsmöglichkeit, auch bei Schiller wird aus dem diffusen Freiheitskampf des Beginns bald ein ungezügelter Blutrausch, der sich gegen jegliche etablierte Ordnung richtet. Aber die Inszenierung zeigt uns keine Neonazis, die einen verhassten Staat herausfordern, sondern gewaltbereite Schwärmer, die viel quatschen. Man sieht sie meist auf einer großen Videowand. Die von Florian Seufert gedrehten Filmszenen zeigen sie gern mal in Caspar-David-Friedrich-Pose auf nebligem Bergrücken oder als redselige Tarantino-Helden an gurgelndem Bach, „Inglourious Basterds“ in den böhmischen Wäldern. Tatsächlich gedreht wurde in der sächsischen Schweiz, mehr Hinweise auf den deutschen Osten gibt es nicht, dafür reichlich Romantik. Das ebenfalls von Mondtag entworfene Bühnenbild zeigt im Hintergrund die Silhouette nachtschwarzer Tannen und einen gleißender Vollmond, davor das Grafenschloss als verwunschenes Horrorhaus. Dreht man es um, blickt man in einen biedermeierlichen Salon mit Grammophon und flackernden Kerzen. Wer hier als Jugendlicher aufgewachsen ist, hat Rebellion im Sinn, Junge oder Mädchen ist da egal. Geschlechterwechsel gibt es auch in den Nebenrollen. In der Räuberbande findet sich mit der robusten Kate Strong als Roller eine Quotenfrau, und Amalia, Karls Geliebte, die der neidische Bruder auch noch haben will, ist ein schüchterner junger Mann, gespielt von Jonas Grundner-Culemann. Meistens verteidigt er tränenreich seine Liebe zu Karl, aber für einen Moment verfällt er der drängenden Dominanz von Sophia Burtschers Franz. Mit ihrer Hochsteckfrisur sieht diese auch verführerisch aus und ist keine optische Missgeburt, wie Franz von Schiller ja gedacht war. Überhaupt war sich das ungleiche Brüderpaar vielleicht noch nie so ähnlich wie in dieser Inszenierung. Franz ist ein rigide fordernder Machtmensch, aber keinesfalls ein moralfreies Monster. Und Karl bei Lola Klamroth eine von ihren Gefühlen verwirrte Kriegerin mit langem Zopf und aufbrausendem Temperament. Die riesige Vaterstatue, die in Herrscherpose à la Saddam Hussein neben dem Häuschen steht, bringen beide nicht zum Umfallen. Das besorgt der malade Vater ganz alleine. Am Ende hat Mondtag noch einen „Monolog über die Freiheit“ der Philosophin Carolin Emcke angehängt. Um die vielfältigen Behinderungen individueller Freiheit in Zeiten prekärer Lebensverhältnisse, weltweiter Flüchtlingskrisen und unklarer Geschlechteridentitäten geht es da,. Man hatte den Eindruck, von all dem wollte dieser bald vier Stunden lange Schiller-Abend eigentlich erzählen.

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