Ludwigshafen „Mein Schreiben ist ein Liebeslied“

Sivan Ben Yishai schreibt auf Englisch, denn sie ringt gern mit der Sprache.
Sivan Ben Yishai schreibt auf Englisch, denn sie ringt gern mit der Sprache.

Sivan Ben Yishai ist nicht das erste Mal in Mannheim. Unter anderem war sie im vergangenen Jahr hier, als Sasha Marianna Salzmann während des Literaturfestivals „lesen.hören“ im Eintanzhaus einen Auftritt hatte. Mit der Dramatikerin und Schriftstellerin ist sie beruflich und persönlich durch die Arbeit am Berliner Maxim-Gorki-Theater eng verbunden. Sasha Marianna Salzmann ist dort Hausautorin, und von Sivan Ben Yishai wurden dort viele Stücke aufgeführt. 1978 in Tel Aviv geboren, wuchs sie in Jerusalem auf und kehrte zu einem Studium des szenischen Schreibens und der Theaterregie in ihre Geburtsstadt zurück. In Tel Aviv führte sie zehn Jahre Regie, unter anderem am dortigen Improvisationszentrum, bevor sie vor sieben Jahren nach Berlin zog. In der deutschen Hauptstadt gab sie zwar noch Tanz- und Performance-Workshops, entwickelte sich aber von einer Regisseurin mehr und mehr zu einer Dramatikerin. Vor zwei Jahren hatte ihr Stück „Your Very Own Double Crisis Club“ (etwa Dein ganz persönlicher doppelter Krisen-Club) am Deutschen Theater Berlin seine Uraufführung. Weitere Teile der Tetralogie mit dem Titel „Let the Blood Come Out to Show Them“ (Lass’ das Blut ’raus und zeig’ es ihnen) folgten: „The Story of Life And Death of the New Bew Wew Woopidu Jew“ (Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden), „Daddy Loves You“ (Pappi liebt dich) und schließlich „Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick)“ (Acht Soldaten mondkrank). Sivan Ben Yishai schreibt auf Englisch, und ihre Stücke haben recht lustige Titel, doch der Inhalt ist weniger lustig. Zum Beispiel „Your Very Own Double Crisis Club“, das Stück, das sie noch über deutsche Bühnen hinaus bekannt gemacht hat. Dieses Stück sei wie ein Klagelied, sagt sie, eine Rückschau auf eine nahezu völlig ausgelöschte Stadt. Damals, im Jahr 2016, als sie es geschrieben habe, seien nämlich viele Asylsuchende nach Deutschland gekommen und im Nahen Osten viele Palästinenser getötet worden. Doch in diesem, wie in ihren anderen Stücken, gehe es ihr auch um das Verhältnis zwischen ihr als Autorin, den Darstellern auf der Bühne und dem Publikum. So würden sich in diesem Stück etwa die Schauspieler beim Publikum für dessen Anteilnahme bedanken. Über den wieder zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und ihre eigenen Erfahrungen damit zu sprechen lehnt Sivan Ben Yishai kategorisch ab. Auch über die Gewalt in Israel und im Nahen Osten mag sie nicht reden. Aber sie möchte andererseits auch einen Satz nicht widerrufen, der in einem Interview mit Henning Borchert, einem ihrer Übersetzer, vor drei Jahren gefallen ist: „Israel steht kurz vor der Explosion.“ Doch, wie gesagt, über Politik will sie nicht reden, nur über ihre Stücke und ihre Arbeit als Dramatikerin. In ihren Stücken geht es ihr darum, ungehörte und auch unerhörte Geschichten zu erzählen, Minderheiten und Unterdrückten eine Stimme zu geben und gegen die Mehrheit anzusprechen. „Mein Schreiben ist voller Liebe“, sagt sie. „Mein Schreiben ist immer ein Liebeslied.“ Sie bemühe sich, mit ihren Stücken Mitgefühl hervorzurufen, Aggressionen in Zärtlichkeit zu verwandeln. Das Theater versteht sie als einen unpolitischen Ort der Begegnung. Bei einem Roman in Buchform wisse man nicht, ob er auch gelesen werde. Im Theater dagegen sei der Besucher gezwungen zuzuhören, es sei denn, er stehe auf und verlasse, die Tür hinter sich zuwerfend, den Saal. Sie schreibe, um sich mit dem Zuschauer ins Benehmen zu setzen, habe aber keine Angst vor empörten Publikumsreaktionen und würde aus Rücksicht darauf nicht einen einzigen Gedanken unterdrücken. „Liebe“, so heißt denn auch das Stück, mit dem sie sich dem Mannheimer Publikum Ende September vorstellen wird. Das Anhängsel „Eine argumentative Übung Teil 1“ im Titel sollte aber nicht übersehen werden. Es gehe in dem Stück um das, was in einer Zweierbeziehung oft ausgeblendet werde, um das, was gleichsam in ihrem toten Winkel liege, nämlich Verwundbarkeit, Angst und Scham, erklärt sie. Denn in jeder Zweierbeziehung gebe es einen, der weniger frei sei als der andere, und meistens sei das die Frau. Es sieht nicht so aus, dass es demnächst von Sivan Ben Yishai ein Stück in deutscher Sprache gäbe. Es gibt aber auch kein Stück in ihrer Muttersprache Hebräisch. Sie schreibt auf Englisch und hält es mit Samuel Beckett, der als gebürtiger Ire sein reifes Werk auf Französisch abgefasst hat. Sie liebe es, mit der Sprache zu kämpfen und um das treffende Wort zu ringen, erklärt sie ihre Vorliebe für die Fremdsprache Englisch. Mannheim übrigens gefällt Sivan Ben Yishai sehr gut. Es sei voller Leben, voller Menschen verschiedenster Nationalität. Die Stadt macht auf sie einen warmen und gastfreundlichen Eindruck. Und am Nationaltheater insbesondere gefällt ihr der nette Umgang miteinander, ungeachtet der hierarchischen Ordnung.

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