Ludwigshafen Mein Freund der Roboter

Der Roboter dirigiert die mechanischen Puppen (Hu Chien und Lin Jiu-Wen) in einer Liebesszene mit dem Laserstrahl.
Der Roboter dirigiert die mechanischen Puppen (Hu Chien und Lin Jiu-Wen) in einer Liebesszene mit dem Laserstrahl.

Die Vision einer Zukunft, die nicht mehr fern ist, bringt der taiwanesische Choreograph und Erfinder Huang Yi in einem außergewöhnlichen Duett auf die Ludwigshafener Pfalzbau-Bühnen: Der Industrieroboter Kuka, der sonst Autos zusammenschraubt, dreht anmutige Pirouetten und erkundet seine Umgebung. Ein feinsinniges, poetisches Stück, das zum Nachdenken über die Seele der Maschinen und die Mechanik des Menschen anregt.

Zwei Wesen in finsterster Nacht, gefangen in ihren Lichtkegeln. Das eine zweibeinig, schwarzer Anzug, hängende Schultern. Gegenüber wartet ein sechsfüßiger Drache aus Stahl. Sein langer Hals reckt und streckt sich vorsichtig. Sein Lichtauge blitzt durch den Raum und beäugt den Zweibeiner neben sich. Bis der Anzugträger sanft nach dem Licht greift und die Taschenlampe abnimmt. Erschrocken zuckt der Koloss zurück und faltet sich zusammen. Kuka scheint ein lebendiges Wesen zu sein, erschaffen von einem Augsburger Unternehmen, das Marktführer in der Industrierobotik ist und nach dem Kuka benannt ist. Das Geschöpf ahnt nicht, wie sehr es einem seiner Vorfahren ähnelt: dem „Senster“, einem interaktiven Roboter, den der Künstler Edward Ihnatowicz 1970 bauen ließ. Das Gebilde war mit Ton- und Wärmesensoren ausgestattet und reagierte auf Zuschauer, die ihn klatschend anlockten. Von einer Welt, in der die Maschinen vernetzt sind und Hand in Hand mit den Menschen zusammenarbeiten – oder besser Hand in Greifklaue –, träumt derzeit die Industrie 4.0. Während Roboter in der Autoindustrie bereits kraftintensive Aufgaben übernehmen, wie das Schrauben, sind die menschlichen Kollegen fürs Kontrollieren zuständig. Von noch mehr Effizienz und Beschleunigung in der Industrie 4.0 schwärmen Werbevideos. Arbeitsplätze gingen nicht verloren, versichern sie. Denn Menschen würden entlastet, um die interessanteren Denkjobs zu übernehmen. Im Ernst? Wollen wir wirklich eine Arbeitswelt, in der wir festgeschweißt als reine Gehirne existieren? Wir sind auf dem besten Weg. Vielleicht beschränkt sich der taiwanesische Solist in einem Abschnitt des 70-minütigen Abends deshalb auf einen Stuhl, angewurzelt wie Kukas Rumpf. Den gestenreichen Sitztanz scheint der Roboter zu imitieren. In einem anderen Kapitel sinkt der 34-jährige Tänzer kraftlos zusammen und wird von Kuka aufgerichtet und gestützt – eine Anspielung auf den Plan, die metallenen Helfer in der Altenpflege einspringen zu lassen? Als sanftes und verlässliches Wesen präsentiert sich Kuka auf der Bühne, als der gute Freund, den sich Huang Yi als Kind wünschte. Subtil agiert der Tänzer in der vorurteilslosen Haltung eines Kindes. Er ist ein Tüftler – mit vielen Preisen ausgezeichnet –, der in „Second Skin“ mit Hilfe einer Folie, die auf Wärme reagiert, eine menschliche Skulptur formte. Der in „Under the Horizon“ vom Sterben erzählte, indem er Menschen als Schatten duplizierte und auf einen Vorhang projizierte. Als nächstes will er mit Kuka einen Coffee-Shop eröffnen, inspiriert von Pina Bauschs „Café Müller“. Doch die Freundschaft 4.0 ist nur eine Illusion: Der Industrieroboter kann nicht interagieren. Seine Schwünge sind minutiös festgelegt und letztlich ein Spiegel von Huang Yis Künstlerseele. Zehn bis 20 Stunden benötigt der Choreograph, um eine Minute zu programmieren, und er muss sich selbst in seinen Bewegungen perfektionieren, um präzise zu Kukas Ablauf zu passen. Der Mensch wird selbst zu einem Ballettroboter, der gut getaktet seine Arabesquen präsentiert. Fünf Jahre benötigte Huang Yi, bis er 20 Minuten präsentieren konnte, die er nun abendfüllend ausweitete. In einem interessanten Abschnitt studiert er die Subjektivität des Blicks, indem er Kuka ein Videoauge aufsetzt. Die Macht der Maschinen demonstriert er, als Kuka mit einem Laserstrahl das Liebespaar Hu Chien und Lin Jou-Wen dirigiert. Ein anspielungsreiches Kapitel, das mit Nebel, historisierenden Kleidern und mechanischen Puppenbewegungen an „Blade Runner“, Wong Kar-Wai-Filme und die Coppelia-Geschichte erinnert. Perfekt konditioniert waren übrigens auch die Zuschauer: Sobald zwischen den Kapiteln das Licht ausging, die Klavier- oder Cello-Klänge von Bach, Mozart oder Pärt verstummten und Kuka den Kopf hängen ließ, begannen sie zu applaudieren.

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