Rheinland-Pfalz Leitartikel: Angst

Die Häufung von Pannen und Betriebsstörungen im Ludwigshafener BASF-Stammwerk und erst recht ein tödlicher Chemieunfall wie der gestern lassen alle Warnlampen angehen. Die BASF ist jetzt mehr denn je in der Pflicht, ihren Mitarbeitern und Nachbarn Sicherheit zu bieten.

Angst sei eine typisch deutsche Eigenschaft. Das ist gerade aus Chemiekreisen immer wieder zu hören, wenn es um Risikoabschätzungen geht. Aber Ludwigshafen und Umgebung waren bisher die große Ausnahme, was Angst vor Risiken der chemischen Industrie angeht. Die Stadt ist mit der Chemie gewachsen. Gut 151 Jahre alt ist der Chemieriese BASF. Seine Ludwigshafener Keimzelle hat sich auf zehn Quadratkilometern zum größten Chemieareal der Welt ausgebreitet. Die Ludwigshafener Stadtteile Nord – mit dem Hemshof –, Friesenheim, Oppau, Edigheim und Pfingstweide grenzen ans Werksgelände. Die Stadt und das Werk: eine Symbiose – bisher. Das tödliche Unglück gestern mit Flammeninferno und Rauchsäule war die furchtbare Fortsetzung einer ungewöhnlichen Häufung von Betriebsstörungen bei der BASF. Schon seit einiger Zeit ändert sich die Stimmungslage – im Werk und in der Stadt. BASF-Mitarbeiter machen sich Sorgen über den Zustand von Fabriken und Infrastruktur. Es werde zu wenig in Modernisierung und Instandhaltung investiert, sagen sie. Manches sei baufällig. Auch bei den Nachbarn der BASF ist erstmals seit langer Zeit Angst zu spüren. Hat der Chemiekonzern, der zwangsläufig mit gefährlichen Substanzen umgehen muss, seine Prozesse noch voll im Griff? Ist die massive Verzögerung beim Bau des riesigen neuen Anlagenkomplexes zur Produktion der Chemikalie TDI ein Indiz für Probleme mit Ingenieurskompetenz? Die BASF war bisher immer stolz auf ihren „innovativen Anlagenbau“. Doch bei der mit gut einer Milliarde Euro größten Einzelinvestition in der Geschichte der BASF gab es viele Pannen. Im August wurde die über mehrere Monate laufende Inbetriebnahme des aus elf einzelnen Anlagen bestehenden Fabrikverbunds gestartet: mit einer Verspätung von 19 Monaten. Weder das, noch die Häufung von Produktaustritten und schon gar nicht ein so schrecklicher Unfall wie der gestern entsprechen dem seriösen Ansehen, das sich die BASF über lange Zeit in ihrem Umfeld erworben hat. Was steckt hinter der Häufung von mehr oder weniger schlimmen Vorfällen im Stammwerk? Ist es wirklich der von BASF-Chef Kurt Bock in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verhängte Sparkurs, der auf Kosten der Sicherheit geht, wie manche Mitarbeiter vermuten? Der Ludwigshafener Werksleiter Uwe Liebelt hat das Ende September in einem Gespräch mit der RHEINPFALZ vehement bestritten. Ist es einfach Pech oder Zufall? Gestern Vormittag, als es in Ludwigshafen knallte, waren BASF-Manager gerade in einer Krisensitzung, weil ein paar Stunden zuvor durch eine Verpuffung im südhessischen BASF-Werk Lampertheim vier Mitarbeiter verletzt worden waren. Was immer auch der Grund für die schwarze Serie ist, sie kostet erst einmal Glaubwürdigkeit und nährt die Angst vor weiteren Unfällen. Der Chemieverbund der BASF in Ludwigshafen ist weltweit einzigartig. Mit 35.600 überwiegend hoch qualifizierten Mitarbeitern arbeitet dort knapp ein Drittel der weltweiten BASF-Belegschaft. Und fast ein Drittel des globalen Anlagevermögens der BASF steht in Ludwigshafen. 200 Chemieanlagen in 110 Produktionsbetrieben produzieren jährlich vier Millionen Tonnen Verkaufsprodukte. Dass es da hin und wieder zu einer Betriebsstörung kommt, lässt sich wohl kaum vermeiden. Aber die Häufung der Pannen und erst recht ein tödlicher Chemieunfall wie der gestern lassen alle Warnlampen leuchten. Die BASF ist jetzt mehr denn je in der Pflicht, Sicherheit zu gewährleisten.

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