Ludwigshafen Leid und Erlösung

„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, so betitelte Jefferson Schoepflin sein Konzert in der Kammermusikreihe „So um fünf“ in der Ludwigshafener Philharmonie. Das Programm kontrastierte die christliche Hoffnung auf Trost und Erlösung mit dem tatsächlichen Erleben von Leiden, Verzweiflung und Tod. Neben Werken von Händel und Schostakowitsch wurde Schoepflins „Gulag Cantate“ aufgeführt.

Händels Oratorium „Der Messias“ war in einer Kammerfassung in Auszügen zu hören. Hier wird der christliche Erlösungsgedanke zum Ausdruck gebracht. Die Gesangssolisten Doris Steffan-Wagner (Sopran) und Martin Steffan (Tenor) haben die Arien hervorragend interpretiert. Das achte Streichquartett hat Schostakowitsch vermutlich für alle Opfer von Totalitarismus geschrieben, denn auch der stalinistische Terror war ihm bekannt. Er zitiert jüdische Klagegesänge und erinnert an den Gang aufs Schafott, harte Dissonanzen spiegeln Gewalt, Themen des ersten Satzes werden im zweiten durch die Mangel gedreht und entstellt. Intensiv und ausdrucksstark spielten Yi-Quiong Pan (Violine), Martin Straakholder (Viola), Eric Trümpler (Cello) und Wolfgang Günther (Kontrabass). Eines der Zitate, die den Messias im Händel-Oratorium ankündigen, verwendet Schoepflin auch in seiner „Gulag Cantate“, aber hier ist es Stalin, der kommt. Aber nicht nur den bizarren Personenkult um Stalin hat Schoepflin in diesem Satz aufgegriffen. Der Marsch von Häftlingen und Aufsehern klingt einerseits rhythmisch geordnet und straff, andererseits sorgen die befremdlichen Harmonien dafür, dass hier eine falsche Art von Ordnung entsteht. Die Kantate handelt von Schoepflins Schwiegermutter Erna. Sie wurde 1920 in der Nähe von Odessa geboren. Als sie neun Jahre alt war, erlebte sie, wie ihr Vater, ein aktiver Christ und Organist, von der Geheimpolizei abgeführt wurde und verschwand. Im Zweiten Weltkrieg wurde Erna von den Nazis zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Nach Kriegsende war sie nicht befreit, sondern wurde nach Sibirien geschafft. Wie viele ihrer Leidensgenossen wurde sie der Kollaboration beschuldigt und musste unter unvorstellbaren Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Nach Stalins Tod 1954 wurde sie freigelassen. 1988 durfte sie mit ihren Töchtern nach Deutschland übersiedeln. Die Angst und Verzweiflung im Lager hat Schoepflin in Musik und Text gefasst. Man fühlt sich dabei an Psalmen erinnert, in denen zu Gott um Rettung gefleht wird. Allerdings ist hier die Hölle längst im Diesseits angekommen: Satan trägt Uniform. Erna, aus deren Perspektive die Texte geschrieben sind, zweifelt. „Im Himmel singen Spatzen, warum sie den Himmel loben, weiß ich nicht.“ Die Musik ist eindrucksvoll und wurde von einem Kammerensemble aus Musikern der Staatsphilharmonie unter Leitung von Schoepflin exzellent umgesetzt. Man fühlt sich von dem Stück bedrückt und verunsichert. Es scheint, als habe Erna ihren Glauben bewahren können, doch sicher ist das nicht. Wie kann ein gütiger Gott so grauenhafte Dinge geschehen lassen? Diese Frage ließ der Konzertnachmittag letztlich zurück.

x