Ludwigshafen Laut und heiß

Mit ihrer ersten EP „Kommissar“ und zahlreichen Festivalauftritten haben Fibel in diesem Jahr den Sprung vom regionalen Geheimtipp zu einem der vielversprechendsten Acts in der deutschsprachigen Indiewelt geschafft. Kein Wunder, dass die erste Tour des Quartetts kreuz und quer durch Deutschland und Österreich führt. Beim Verein Kulturbrücken Jungbusch feierten sie nun einen triumphalen Heimatbesuch.

Genau hier in diesem Haus und auf dieser Straße könnten einige der Geschichten stattgefunden haben, die Fibel in ihren Songs verarbeiten. Ob frei erfunden, irgendwo aufgeschnappt oder hautnah miterlebt: So genau will das wahrscheinlich niemand wissen. Aber was die Band von fast allen anderen Produkten der Popakademie unterscheidet, ist die erzählerische Wucht. Das Gefühl, dass die Musik nicht nur perfekt ausgearbeitet ist, sondern das wahre Leben in der geografischen Umgebung der Hochschule mit allen seinen Höhen und Tiefen atmet. Die Konfrontation mit den Schattenseiten des Mannheimer Szeneviertels lässt sich schon beim Auftakt erahnen: Das Intro und der elektrisierende Opener „Kripo“ schießen mit Sirenengeheul, pfeifenden Gitarrensounds und einer im ersten Moment erschreckenden Intensität aus den Startblöcken. Laut und heiß ist es in diesem kleinen Raum, der bei hundert Besuchern schon aus allen Nähten zu platzt. Vor der Bühne scheinen sich alle jungen Menschen zu drängen, die an diesem Abend etwas erleben wollen. Das Publikum singt bei so gut wie allen Songs mit, die inzwischen als Video oder Stream durch das Internet geistern. Da bleibt ab und zu sogar die Luft weg, vor allem, wenn der Beat die Körper so gnadenlos zum Tanzen zwingt wie etwa bei „Medikament“, einem stürmischen Liebeslied voll abgründiger Metaphorik. Fast ein bisschen zu weit geht die schwarze Melodramatik dagegen bei „Substanz“ und seinem hymnischen Refrain aus der Schublade Anti-Schlager. Noch stärker sind die subtilen Ohrwürmer, die ihre Durchschlagskraft vor allem aus dem explosiven Zusammenspiel ziehen. So wie „Paynesgrau“ mit seinen schwebenden Synthieflächen und einem instrumentalen Zwischenspiel, für das in den Achtzigern viele Produzenten ihr letztes Hemd gegeben hätten. Auch das elektronisch pulsierende „Tristesse“ kann in dieser Hinsicht mit jedem Erzeugnis von Depeche Mode und Konsorten mithalten. Vielleicht liegt bei dieser Art von Musik oft da der Schlüssel, wo das menschliche einer Gesangsmelodie in einer lärmenden, lebensfeindlichen Klangwelt in Bedrängnis gerät. Ob die Stimme dort bestehen kann oder nicht, ist in jedem Song aufs Neue eine tragische Schicksalsfrage. Die Inszenierung glückt Fibel so häufig wie kaum einer anderen Band in diesen Tagen, da sie immer mit dem Geschehen innerhalb der Songs verwoben scheint. Und weil das Quartett seinen ganz eigenen Sound nebenbei mit einer selten zu hörenden Überzeugung und Vehemenz abliefert. Wie bei den ganz Großen gibt es den beliebtesten Song erst als Zugabe. Bei „Kommissar“ kommt zum Abschluss noch mal alles zusammen, was Fibel ausmacht. Stilistisch ist die Nummer genau da angesiedelt, wo die Ecken und Kanten der Wave-Ästhetik umschlagen in schamlosen Pop. Wenn Fibel diesen Punkt auf ihrem mit Spannung erwarteten Debüt-Album zuverlässig treffen, dürfen sie sich in Zukunft wohl auch anderswo fühlen wie die umjubelten Superstars, die sie an diesem Abend im Jungbusch sind.

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