Ludwigshafen Krankheit als Waffe

Gerd Kroske in Mannheim.
Gerd Kroske in Mannheim.

Im Februar 1970 bildete sich in Heidelberg das Sozialistische Patientenkollektiv, kurz SPK. Die Gruppe um den Psychiater Wolfgang Huber verknüpfte innovative Therapiemethoden mit politischen Forderungen und geriet in Konflikt mit Universität und Landesregierung. Einige Mitglieder des SPK schlossen sich der RAF an. „Das Thema ist in keiner Weise aufgearbeitet, eine völlig unbewältigte Geschichte“, findet Filmemacher Gerd Kroske, der seine Dokumentation „SPK-Komplex“ im Cinema Quadrat vorstellte.

Er sei eindringlich gewarnt worden, er solle bloß nicht diesen Film drehen, berichtet der Regisseur, das sei ein äußerst heikles Terrain und obendrein gefährlich. „Das ermuntert mich ja eher, als dass es mich abschreckt“, meint er dazu. „Und dann habe ich angefangen, in Archiven nach Dokumenten zu suchen. Es ist sehr spannend, was man da zutage fördert.“ Der Film beginnt denn auch im Archiv der Uni Heidelberg, in dem eine Reihe von Unterlagen zu Wolfgang Huber und dem SPK verwahrt werden. „Das System hat uns krank gemacht: geben wir dem kranken System den Todesstoß!“ lautete eine Parole, die das antipsychiatrisch ausgerichtete Kollektiv 1970 auf Flugblätter drucken ließ. Auch mit Diskussionsveranstaltungen, Teach-ins, einer Petition an den Landtag und weiteren Aktionen bekämpfte das SPK die „Verwahr-Psychiatrie“ und stritt für eine Selbstorganisation von Patienten, in der es keine Trennung zwischen Arzt und Patient geben sollte. „Krankheit ist kein Vorgang im einzelnen Menschen, krank ist unsere Gesellschaft“, verlautbarte das SPK. Alle psychischen Erkrankungen würden von der Gesellschaft mitverursacht und seien Folge der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die vorherrschende Psychiatrie wolle die Patienten lediglich wieder tauglich für ein krankes System machen. Demgegenüber sah Huber in den Erkrankten ihr revolutionäres Potenzial. „Im Sinne der Kranken kann es nur eine zweckmäßige beziehungsweise kausale Bekämpfung ihrer Krankheit geben, nämlich die Abschaffung der krankmachenden privatwirtschaftlich-patriarchalischen Gesellschaft“, so Huber im Sommer 1970. „Aus der Krankheit eine Waffe machen!“ lautete entsprechend der griffige Titel einer Agitationsschrift des SPK. „Mich reizen filmisch generell Situationen und Personen, an denen Umbrüche und Risse erlebbar sind“, sagt der Berliner Regisseur Gerd Kroske, der sich bereits in seinen Dokumentationen „Kurt oder Du sollst lachen“ und „Heino Jaeger - look before you kuck“ mit den Verhältnissen in der Psychiatrie auseinandersetzte. „In dem Zusammenhang habe ich mich mit Psychiatriegeschichte beschäftigt und bin auf das SPK gestoßen.“ Die Bruchstellen bei diesem Filmstoff seien in der Tat eklatant, so Kroske. Dies beginnt mit der merkwürdigen Symbiose aus sozialtherapeutischem Experiment und Agitation, führt zur Verfolgung der Mitglieder und der Zerschlagung des Kollektivs und endet mit der Bereitschaft einiger Mitglieder, im Untergrund zu leben und sich der terroristischen Rote-Armee-Fraktion anzuschließen. 1971 fanden Ermittler bei Mitgliedern des SPK Waffen und gefälschte Papiere. Das Patientenkollektiv wurde zur kriminellen Vereinigung erklärt, Huber und seine Frau verloren ihre Approbationen und wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. 1975 stürmten RAF-Terroristen, darunter mit Karl-Heinz Dellwo und dem Mannheimer Lutz Taufer auch zwei ehemalige SPK-Mitglieder, die deutsche Botschaft in Stockholm, nahmen zwölf Geiseln und forderten die Freilassung von Angehörigen der RAF. Im Zuge dieser Geiselnahme starben zwei Geiseln und zwei Terroristen. Seither haftet dem SPK der Ruf an, letztendlich in den Terror aufgegangen zu sein. Nach Ansicht von Kroske überlagere dies, worum es Huber und dem SPK eigentlich gegangen sei: nämlich um die Rechte von Patienten und Therapien zur Selbstermächtigung. „Das wirklich Revolutionäre am SPK war aus meiner Sicht, dass Patienten sich gegenseitig in ihrer Betreuung halfen, dass ein Gruppenleben geführt wurde, das sich als hochsolidarisch beschreiben lässt. Medizingeschichtlich ist das SPK eigentlich eine Erfolgsgeschichte, denn vieles von dem, was damals im Ansatz entwickelt wurde, ist heute gängige Praxis.“

Gegen eine „Verwahr-Psychiatrie“ richteten sich die Aktionen des SPK in den 1970er-Jahren.
Gegen eine »Verwahr-Psychiatrie« richteten sich die Aktionen des SPK in den 1970er-Jahren.
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