Ludwigshafen In die Mitte der Gesellschaft

Wird im Einsatz für seine Ziele auch mal „ein unangenehmer Zeitgenosse sein“: Romeo Franz.
Wird im Einsatz für seine Ziele auch mal »ein unangenehmer Zeitgenosse sein«: Romeo Franz.

Erst auf mehrfache Nachfrage beginnt Romeo Franz, von seiner Kindheit zu erzählen. Sicher, weil die Erfahrungen schmerzhaft waren, demütigend. Vor allem wohl auch, weil er seine eigene Geschichte nicht in den Vordergrund stellen möchte und stattdessen die Ziele hochhält, für die er sich gesellschaftlich und politisch einsetzt. „Man darf soziale Situationen nicht ethnisieren“, sagt der 51-Jährige und meint damit: Menschen nicht wegen ihrer Herkunft, ihrem familiären Hintergrund als eine Einheit betrachten und diskriminieren. Alle sollen dieselbe Chance auf Arbeit, Bildung, eine Wohnung und Gesundheit haben. Soziale Brennpunkte müssen entzerrt werden, sagt er. Romeo Franz ist Geschäftsführer der Hildegard-Lagrenne-Stiftung, die sich für die Integration von Sinti und Roma einsetzt. Er ist Musiker, vor allem aber Politiker. Ab 1. Juli sitzt er für die Grünen im Europaparlament, rückt nach für Jan Philipp Albrecht, der in Schleswig-Holstein wiederum das Umweltministeramt von Robert Habeck übernimmt. Im EU-Gremium ist Franz der erste Sinto. Und das ist etwas Besonderes für den Mann, für den schon der Heimweg von der Grundschule „zum Spießrutenlauf“ wurde, den sie „Zigeuner“ schimpften. Für den Mann, der mit ernster Stimme und direktem Blick erzählt, wie Mitschüler zur Provokation Schildchen mit den Namen von Nazi-Politikern vor sich aufstellten. Romeo Franz’ Mutter ist Holocaust-Überlebende. Auch erzählt er, wie sein Freund Stefan ihm im Bus plötzlich keinen Platz mehr freihalten durfte. Anerkennung, so berichtet der in Oggersheim Lebende, erhielt er nur für seine Musik. Als er sich in der Hauptschule ans Klavier setzte und Beethoven spielte – oder aber seine Geige in die Hand nahm. So wollte er dann auch studieren, Berufsmusiker werden. Doch an der Hochschule sagte ihm der Geigenprofessor nur: „Suchen Sie sich mal einen anderen Job. Hier studieren Sie nicht.“ Dass Sinti und Roma diskriminiert werden, sei auch heute noch gängig. „Antiziganismus“ lautet der Fachbegriff für das, gegen das sich Romeo Franz bald auch auf höherer Ebene einsetzen kann. „Ich bin Sinto. Ich bin deutscher Sinto“, sagt er irgendwann im Gespräch. Und später noch: „Ich bin kein Opfer!“ Auch andere Diskriminierte sollen aus der Opferrolle herauskommen. Romeo Franz ist das mit der Musik gelungen. Studiert hat er dieses Fach nicht, spielte stattdessen mit Bands erfolgreich in großen Hotels. „Die Musik gehört zu meinem Leben. Hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.“ Und sie habe ihn den längsten Teil seines Lebens ernährt. Sein „Romeo Franz Ensemble“ hat inzwischen der 17-jährige Sohn übernommen. Manchmal spiele der Vater noch „die zweite Geige“, sagt der Mann lächelnd, der stets reflektiert, gleichzeitig deutlich ausdrückt, was er denkt. 2011 wurde Romeo Franz Mitglied bei den Grünen und hat 2014 schon einmal bei der Europawahl kandidiert. Nur ganz knapp verpasste er damals den Einzug ins Parlament. „Ein Abgeordneter der NPD kam statt mir ins EU-Parlament“, sagt er dann. Die Zuhörerin schluckt. „Das hat schon weh getan.“ Im Nachhinein sei er sehr dankbar für die vier Jahre von 2014 bis heute. Mit seiner Stiftungsarbeit habe er viele Menschen kennengelernt, sich ein Netzwerk an Kontakten über ganz Europa gespannt. Das kann ihm auch jetzt nützen. In der EU gebe es bislang wenig direkte Berührungspunkte mit den betroffenen Gruppen. „Deshalb sind einige Entscheidungen nicht realitätsnah“, sagt er ganz direkt. Und schon um wörtlich zu unterstreichen, was dann kommt, hebt er seine Stimme und sagt: „Ich werde im Parlament laut sein und für viele ein unangenehmer Zeitgenosse.“ Sein Fokus liegt zwar auf dem Einsatz für Sinti und Roma, doch Romeo Franz geht es um alle Minderheiten, die der „Dominanzgesellschaft“ – dieses Wort verwendet er immer wieder – gegenüber stehen. In Ludwigshafen fallen einem zu diesem Thema spontan die städtischen Einweisungsgebiete ein: Kropsburg- und Bayreuther Straße. „Da geht ein so wichtiges Potenzial verloren“, sagt der Vater dreier Kinder – und sieht die Sache damit auch aus Sicht der Gesellschaft, nicht nur mit den Augen der Ausgeschlossenen. „Man will Armut einfach nicht in der Mitte der Gesellschaft sehen“, stellt er immer wieder fest. Ein bisschen mehr in die Mitte der Wahrnehmung rückte die traurige Geschichte der Sinti und Roma am 24. Oktober 2012. In Berlin wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht. Am Rand des Tiergartens, nahe dem Brandenburger Tor, ist ein bewegender Ort entstanden. Aber kein stiller. Wer auf das Wasserbecken schaut, eine Blume in der Mitte, hört aus Lautsprechern Musik. „Mare Manuschenge – Unseren Menschen“ heißt die Komposition. Sie ist von Romeo Franz.

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