Ludwigshafen In den dunklen Ecken der Großstadt

Von heiter bis düster: Tim Fischer.
Von heiter bis düster: Tim Fischer.

„Die alten schönen Lieder“ nennt Tim Fischer sein Programm. Das klingt erst einmal harmlos. Die Zuhörer im Capitol hat der Sänger auf eine Reise mitgenommen, die von heiterem Nonsens über beißende Satire in beklemmende Düsternis führte. Und Fischer hat die Lieder nicht bloß gesungen – er hat sie auf der Bühne verkörpert.

„Dass sowas auf der Welt passiert, das hätt’ ich nicht gedacht“ ist ein rasantes Lied mit einem Nonsens-Text, eine Art musikalischer Slapstick. Offenbar wollte Fischer erstmal eine unbeschwerte Stimmung entstehen lassen. Die Fallhöhe später, hat er sich wohl gedacht, wird umso größer sein. Auch die Frage, warum von Berlin nach Wien ziehen, die ursprünglich von Pigor und Eichhorn gestellt wurde, ist eher eine witzige Auseinandersetzung, von Fischer recht treffend als „Salon-Hip-Hop“ bezeichnet. Der Humor wurde schwärzer und schärfer. Georg Kreisler, mit dem Fischer zusammengearbeitet hat, durfte im Programm nicht fehlen. Und so hörten wir, wie aus dem Darmwind eines Ministers am Ende ein Gesetz wird. Klar kann der Sänger albern sein, ironisch und geistreich. Fischer, zu Beginn seiner Karriere ein langhaariger Jüngling, jetzt ein gereifter Herr mit kahl rasiertem Schädel, warf sich mit Vehemenz in die Lieder, die er interpretierte. Tatsächlich gelang es dem 45-Jährigen, den Eindruck zu vermitteln, als sei jedes Stück gerade erst für ihn geschrieben worden. Der Künstler trat schon als 15-Jähriger auf und sang Chansons von Zarah Leander, Marlene Dietrich und anderen Künstlern der 1920er- und 30er-Jahre. Sein erstes Programm „Zarah ohne Kleid“ sang er mit 17 Jahren auf der Reeperbahn in Hamburg. Später zog er nach Berlin, wo die Künstler und Chansons zu Hause waren, die ihn so faszinieren. Fischers Entwicklung hat Parallelen zu Robert Kreis, dem holländischen Sänger und Entertainer, der sich ganz den „Wilden Zwanzigern“ in Berlin verschrieben hat. Doch während Kreis mit Humor und prickelnder Frivolität unterhält, wagt sich Fischer auch in die dunklen Ecken des Großstadtlebens. „Lieder eines armen Mädchens“ war ein Zyklus, den Friedrich Hollaender 1921 bis 1925 geschrieben hat. Darin geht es um Not und Elend der Menschen, die am weitesten von Glanz und Glamour entfernt leben. „Wenn ick gestorben bin“ schildert aus der Ich-Perspektive, wie sich ein kleines Berliner Mädchen seinen Tod und seine Beerdigung vorstellt. Es träumt davon, dass dies der schönste Tag seines Lebens sein werde. Fischer sang das auf eine einfache, kindlich-naive Weise, die auf beklemmende Art dem Stück entspricht. Hinter den poetischen Schilderungen schien eine Lebenswelt durch, die so grausam ist, dass Kinder sich den Tod wünschen. Da musste man als Zuhörer schon mal trocken schlucken, wenn man kein Herz aus Stein hat. Und auch der kleine Koffer, der in einem anderen Stück zu sprechen begann, ist kein beliebiger. Er steht in Theresienstadt herum und vermisst seinen Herrn, einen alten Mann, der einen Stern getragen hat. Es ist die Vertonung eines Gedichts von Ilse Weber. Nun mussten die Hörer zum Glück nicht den Rest des Abends in emotionalen Abgründen verbringen. Fischer kriegte wieder die Kurve und landete bei den Caprifischern, jenem Lied, das wie kein anderes für die Italien-Sehnsucht der Wirtschaftswunder-Deutschen steht. Freilich konnte Fischer dabei nicht ganz ernst bleiben. Ganz hervorragend begleitet wurde der Sänger von Thomas Dörschel am Piano. Die beiden harmonieren bestens. Dörschel ließ Fischer jede Freiheit, spürt, wie der Sänger seine Texte gestaltet, versteht dramatische Pausen und Dynamik. Fischer ist ein großartiger Chansonnier, der virtuos Gefühle in den Hörern wecken kann. Dabei versteht er es, witzig und charmant zu sein, aber auch Schmerz und Bitterkeit fühlbar zu machen. Überraschungsgast war der junge Pianist Dan Popek, der im Publikum saß und den Fischer auf die Bühne bat, wo einen rasanten Boogie in die Tasten hämmerte und ganz am Ende noch Oscar Petersons „Nigerian Marketplace“ spielte.

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