Ludwigshafen Handwerkskunst als Kunst

In einem leerstehenden ehemaligen Ladenlokal in Ludwigshafens südlicher Innenstadt wird in absehbarer Zeit das Kulturcafé Franz & Lissy eröffnen. Bevor es soweit ist, ist in den Räumen die Fotoausstellung „seit by side“ zu sehen. In den Bildern würdigt die Fotodesignerin Joelle Oechsle Traditionsbetriebe in der Stadt.

Es war das Motto „Industrie-Kultur“ des rheinland-pfälzischen Kultursommers, das Joelle Oechsle zu dem Projekt anregte. Sie selbst, als gebürtige Ludwigshafenerin, die in der Valentin-Bauer-Siedlung aufwuchs, denke, wenn es um den Industrie- und Produktionsstandort Ludwigshafen gehe, in erster Linie an die übermächtige BASF. „Ich finde es aber sehr schade, dass viele alte Handwerksbetriebe darüber in Vergessenheit geraten“, bedauert die Künstlerin. „Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass es diese Betriebe überhaupt noch gibt.“ Tatsächlich schrumpfe die ohnehin überschaubare Zahl jener Unternehmen, die sich seit ihrer Gründung in Familienbesitz befinden, beständig weiter. Auf dem Vormarsch seien dagegen Billigläden und Supermärkte mit Backautomaten und Fleischtruhen. Nur, wenn man genau hinschaue, finde man sie noch: die alten, ehrwürdigen Betriebe. Elf von ihnen konnte Oechsle besuchen und fotografieren. Darunter die Privatbrauerei Mayer in Oggersheim, die 1846, und damit noch vor der BASF gegründet wurde, oder die Bäckerei-Konditorei Lanzet, die bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten besteht, an der Hohenzollernstraße in Friesenheim, nur wenige Meter von der etwa halb so alten Metzgerei Wieland entfernt. Weiter zählt die Fotografin die Kaffeerösterei Mohrbacher auf, die Gärtnerei Schönmann, Schuh-Keller, die Pelz- und Leder-Manufaktur Chr. Schad, Fahrrad Pülz, Friseur Hoferer und die Galerie Lauth, gegründet „erst“ 1948 und damit, so Oechsle, „der junge Hüpfer in dieser Reihe“. Malermeister Christoph Heller, der Ortsvorsteher des Stadtteils Süd, lieferte bei der Vernissage selbst einen historischen Abriss seines familieneigenen Unternehmens, das er in der nunmehr vierten Generation leitet. „Mein Sohn ist jetzt bei mir im Betrieb, im Moment ist kein Ende in Sicht“, gab er sich zuversichtlich. Ein halbes Dutzend Fotos im Ausstellungsraum und in den Schaufenstern zeigt seine Angestellten bei der Ausübung ihres Handwerks und Aufnahmen aus den Werkstätten selbst. Oechsle hat sie wie die übrigen Bilder farbig fotografiert und dann digital in Schwarz-Weiß umgewandelt, um abschließend einzelne Details durch zarte nachträgliche Kolorierung wieder hervorzuheben. Entstanden sind Bilder mit behutsam gesetzten Akzenten, die den Blick auf das Ganze ebenso wie auf die farbigen Einzelheiten lenken und so auch zwischen dokumentarischem und künstlerischem Werk changieren. Vergleichbar sehenswert arbeitete die 46-jährige Grundschullehrerin und Fotodesignerin in ihrem Zyklus „sichtbar“, der im Vorjahr in der Apostelkirche im Hemshof ausgestellt war und Wohnsitzlose und Menschen in Armut zum Thema hatte. Ausstellung „seit by side“, Kulturcafé Franz & Lissy, Lisztstraße 176, 23. und 30. August, jeweils 18 bis 20 Uhr.

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