Ludwigshafen „Haben diese Leute in unserer DNA“

Über der Arbeit verpassen sie die Liebe: David Müller (links) als Astrow, Thomas Meinhardt als Wanja.
Über der Arbeit verpassen sie die Liebe: David Müller (links) als Astrow, Thomas Meinhardt als Wanja.

In den vergangenen Jahren war Tschechow ein seltener Gast am Nationaltheater. Bis auf einen „Kirschgarten“, von Schauspielintendant Burkhard Kosminski inszeniert, war sehr lange kein Stück des russischen Dramatikers mehr im Spielplan zu finden. Jetzt kommt „Onkel Wanja“ ins Schauspielhaus, Regie führt – zum vierten Mal in Mannheim – Sebastian Schug.

„Tschechow trage ich mit mir ’rum“, sagt Schug. Für ihn ist dies ein Autor, mit dem er sich immer mal wieder beschäftigt. Als ihm die Schauspielleitung den „Wanja“ anbot, hatte er auch gleich ein paar Ideen für die Besetzung der Rollen. Es ist weitgehend dieselbe Truppe, mit der er in Mannheim Büchners „Leonce und Lena“ in Szene gesetzt hat. David Müller zum Beispiel, der einen blitzgescheiten, und zu Tode gelangweilten Leonce gespielt hatte, wird nun als vom Leben gleichermaßen über- wie unterforderter Arzt und Umweltenthusiast Astrow zu erleben sein. Carmen Witt, die die Prinzessin Lena gespielt hatte, ist nun Sonja, Tochter des Kunstprofessors Serebrjakow, die zusammen mit ihrem Onkel Wanja das Gut der verstorbenen Mutter am Leben erhält. „Leonce und Lena“ hatte Schug als überaus unterhaltsamen Theaterabend mit postmodernem Touch und viel Fremdtext inszeniert. Das soll es bei Tschechow nicht geben, höchstens ein paar „Fremdtext-Fitzel“, die das Original „noch einen Tick besser machen“, so der Regisseur. Den großen politisch-aktuellen Zugriff auf einen alten Theatertext darf man bei Sebastian Schug nicht erwarten. Wer konkrete Fragen an die Welt habe, dem empfiehlt der 38-Jährige die Sachbuchabteilung einer guten Buchhandlung. Im Theater gehe es nicht um Ideen, sondern um echte Menschen. Und da sei man bei Tschechow genau richtig. „Die Figuren in seinen Stücken haben vor 100 Jahren gelebt, aber wir haben sie immer noch in unserer DNA.“ Es gehe in diesem Stück also nicht so sehr um die Inhalte der Gespräche, auch wenn es natürlich bemerkenswert sei, dass sich da einer bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert Sorgen um die Ökologie mache. „Mich interessiert, wie die Figuren kommen und gehen“, zitiert Schug eine Bemerkung Peter Zadeks, die dieser einmal während einer „Kirschgarten“-Inszenierung machte. „Da kriegt einer einen Tee angeboten und sagt: Ich will eigentlich nicht. Aber dann trinkt er ihn halt doch“, bringt Schug ein Beispiel aus „Onkel Wanja“. Keiner bekommt in diesem Stück, was er möchte, beruflicher Erfolg, Reichtum, Liebesglück, alles misslingt diesen Leuten, weil sie ihre Chancen nicht nutzen, die falschen Entscheidungen treffen oder einfach unfähig sind zur Veränderung. „Tschechow bietet ganz viele Themen zum Andocken für die Zuschauer“, sagt Schug und macht sich um die Aktualität des Stücks keine Sorgen. Tschechow schrieb „Onkel Wanja“ 1896, griff dabei auf ein früheres Stück mit dem Titel „Der Waldschrat“ zurück, das beim Publikum durchgefallen war. Das Personal blieb dasselbe. Professor Serebrjakow ist nach seiner Pensionierung zusammen mit seiner jungen Ehefrau auf das Gut seiner verstorbenen ersten Frau zurückgekehrt. Dort haben sich in den vergangenen Jahren seine Tochter Sonja und sein Schwager Wanja um den Betrieb gekümmert und ihm mit den Erträgen das Leben in der Stadt finanziert. Jetzt ist der Professor, längst nicht eine solche Berühmtheit wie alle dachten, pleite und will das Gut verkaufen. Die Verkaufsabsicht und die attraktive Ehefrau des Professors wirbeln die schläfrige Landgesellschaft, zu der auch noch der Arzt Astrow, der verarmte Gutsbesitzer Telegin und die Kinderfrau Marina gehören, kräftig durcheinander. Wie immer bei Tschechow bleibt am Ende alles wie gehabt: Das Gut wird nicht verkauft, Sonjas Liebe zu Astrow bleibt unerwidert, der Professor reist mit seiner schönen Frau wieder ab, und Wanja wird sich auch weiterhin um das Gut kümmern. Nach „Iwanow“ und „Drei Schwestern“ ist „Onkel Wanja“ Sebastian Schugs dritte Tschechow-Inszenierung. Ansonsten hat der Regisseur in den vergangenen Monaten zwei Shakespeare-Stücke inszeniert, am Wiener Volkstheater noch einmal „Viel Lärm um Nichts“, mit dem er ja auch in Mannheim einen Publikumserfolg gelandet hatte, und in Lübeck „Was ihr wollt“. Am Staatstheater Kassel hat Schug „Im Kino“ der US-amerikanischen Dramatikerin Annie Baker als deutsche Erstaufführung herausgebracht. Die 38-jährige Autorin erzählt darin von drei jungen Leuten, die als Reinigungskräfte in einem Kino arbeiten. „Eine zarte Geschichte über die Generation der 20-Jährigen in prekären Lebensverhältnissen, auch eine verfehlte Liebesgeschichte, die an Tschechow erinnert, aber den Akzent doch auf die Gegenwart setzt“, ist Schug immer noch ganz begeistert von dieser Autorin und ein bisschen sauer, dass ihren Stücken in Deutschland nicht die verdiente Beachtung zukommt: „Es ist schon merkwürdig, dass die x-te Stücke-Entwicklung zum NSU-Prozess größere Aufmerksamkeit findet als der Text einer Pulitzer-Preisträgerin.“ Termine Premiere am Donnerstag, 19. April, 19.30 Uhr, im Schauspielhaus des Mannheimer Nationaltheaters. Weitere Vorstellungen am 27. April, 12. und 18. Mai.

Inszeniert zum vierten Mal in Mannheim: Sebastian Schug.
Inszeniert zum vierten Mal in Mannheim: Sebastian Schug.
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