Ludwigshafen Gleichberechtigung mit Bart: Von Ludwigshafen nach Erbil

Immer schick: Kosrat Nawzad Sheikh trägt Maßgeschneidertes.
Immer schick: Kosrat Nawzad Sheikh trägt Maßgeschneidertes.

Kosrat Nawzad Sheikh ist in Ludwigshafen aufgewachsen. Heute lebt der 26-Jährige wieder in seiner Geburtsstadt Erbil. In der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak ist er Mitglied des Modeclubs Mr. Erbil – „Iraks erster Mode-Club für Gentleman“. Die 40 Mitglieder beschäftigen sich mit Kleidung, Barttracht und der Gleichberechtigung.

Die ersten zehn Jahre in Ludwigshafen gelebt

An den Hemshof in Ludwigshafen erinnert sich Kosrat Nawzad Sheikh noch genau: „Kanalstraße 65, Ludwigshafen. Zwei Minuten Fußweg zur Grundschule.“ In Ludwigshafen verbrachte der heute 26-Jährige zusammen mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern das erste Jahrzehnt seines Lebens. Kosrats Erinnerungen an seine Kindheit sind positiv: Auch wenn er nicht immer ein guter Schüler war – in die Grundschule Gräfenauschule ist er gerne gegangen. Geboren ist Kosrat nicht in Ludwigshafen, sondern in Erbil. Mitten hinein in die Hochphase des gewaltvollen Konflikts zwischen der kurdischen Minderheit im Norden der Republik Irak und der Bagdader Zentralregierung. Der damalige Diktator Saddam Hussein führte gerade seine Kampagne gegen die im Irak lebenden Kurden. Wie viele andere floh auch die Familie von Nawzad Sheikh über die Türkei nach Europa, bis sie die Stadt Ludwigshafen erreichte. Kosrat war damals gerade ein Jahr alt. Er wuchs als Mittelkind zwischen seinen zwei älteren Brüdern Mohammed (Jahrgang 1989) und Ahmed (geboren 1990) und seinen drei jüngeren Schwestern auf. Es war wieder sein Vater, der zehn Jahre später entschied, seine Familie zurück nach Kurdistan zu bringen. Kosrat hatte gerade die Grundschule beendet und seine jüngste Schwester wurde im selben Jahr geboren.

Das Reisebüro im Herzen von Erbil

„Mein Vater wollte nicht, dass seine Töchter aufwachsen wie die europäischen Frauen“, erklärt Kosrat. In Erbil schloss Kosrat seine Schulbildung ab und arbeitet heute im Reisebüro seines Cousins Edris Sheikh. Der kleine Laden befindet sich im Qaysari Bazar, das traditionelle „Einkaufszentrum“ der Kurden, im Herzen der Stadt Erbil, am Fuß der historischen Zitadelle. Fragt man Kosrat nach seiner Heimat, so antwortet er „Kurdistan und Deutschland“. Bis vor zwei Jahren kam er jedes Jahr zum Urlaub nach Ludwigshafen zurück. Dabei schwärmt er von seiner Leibspeise, dem Döner, und lacht. Ein weiteres Element, das ihn mit Ludwigshafen verbindet, ist die Erinnerung an seine Mutter. Sie ist im Jahr 2012 in Folge einer Krankheit verstorben. Genau wie ihr Sohn Kosrat, wollte sie Deutschland nicht verlassen.

Seit zwei Jahren kein deutsches Visum mehr

„Ich würde sehr gerne wieder zurückgehen nach Ludwigshafen, aber das geht nicht. Ich müsste wieder bei Null anfangen.“ Wegen seines irakischen Passes und den verschärften Einreisebedingungen hat Kosrat seit zwei Jahren kein deutsches Visum mehr bekommen. Im Modeclub Mr. Erbil hat Kosrat kulturell Gleichgesinnte gefunden. Das Markenzeichen der heute 40 Mitglieder sind ihre maßgeschneiderten Anzüge und ihre langen gepflegten Bärte: Inspiriert von westeuropäischen modernen Gesellschaften, umgesetzt von örtlichen Schneidern mit regionalen Textilien. Kosrats Bruder, Ahmed Nawzad, gründete den Gentlemen’s Club im Februar 2016, zusammen mit seinen Freunden Omer Nihad und Goran Pshtiwan. Sie sind mittlerweile international bekannt, ihre Facebook-Seite hat 40.000, ihr Instagram-Auftritt gar 90.000 Abonnenten. Mit den Auftritten in den sozialen Medien wollen sie das negative Image ihrer Region überwinden und zeigen, dass ihre Heimat facettenreicher ist, als man im Westen glaubt. Dort wird der kurdische Nordirak immer schnell mit einem Kriegsgebiet gleichgesetzt. Dabei gibt es auch in Erbil Bars, Kinos und Musikclubs.

Dandy-Look im Gentlemen’s Club

Der Club hat international Aufmerksamkeit erfahren, weil seine Aktivitäten in dieser Ecke der Welt ungewöhnlich sind. Und auch der Dandy-Look seiner Mitglieder ist etwas Besonderes. Die Popularität nutzen die Gentlemen, um sich für die Freiheit der Kurden, Gleichstellung der Frauen und mehr Umweltbewusstsein in ihrer Region einzusetzen. Jeden Donnerstag postet „Mr. Erbil“ das Foto einer Frau unter dem Titel „Thursday Women’s Inspirations“ ein Foto mit kurzem Text über eine junge Kurdin mit besonderem gesellschaftlichem Engagement im Internet. Die Clubmitglieder haben völlig unterschiedliche Berufe – es gibt einen Automechaniker, einen Arzt, einen Ingenieur, einen Ladenbesitzer und Beamte. Sie treffen sich auch zu Modeaufnahmen an historischen Orten in der Stadt. In Erbil hat der Club nicht nur Anhänger. Kritiker werfen der Gruppe vor, sich zu sehr am Westen zu orientieren. Bisher ficht das die Gentlemen nicht an. Was den Club für Kosrat ausmacht? „Azadi. Das bedeutet Freiheit. Freiheit, sein eigenes Leben zu haben.“

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