Ludwigshafen Firmenchef der Bäckerei Görtz: „Vision für die Innenstadt fehlt“

„Wir kämpfen jeden Tag um unsere Zukunft“, sagt Peter Görtz, hier im RHEINPFALZ-Gespräch in der Görtz-Zentrale in Rheingönheim.
»Wir kämpfen jeden Tag um unsere Zukunft«, sagt Peter Görtz, hier im RHEINPFALZ-Gespräch in der Görtz-Zentrale in Rheingönheim.

Interview: Die Ludwigshafener Bäckerei Görtz behauptet sich seit Jahren in einem hart umkämpften Markt. Bald eröffnet die 169. Filiale. Firmenchef Peter Görtz spricht über Grenzen des Wachstums und seine Ideen für die Neugestaltung des Berliner Platzes. Er vermisst eine Vision für die Innenstadt.

Herr Görtz, vor einem Jahr haben Sie Ihre erste Bäckerei-Filiale mit einem Autoschalter in der Gartenstadt eröffnet – läuft die wie geschnitten Brot?

Der Standort wird insgesamt sehr gut angenommen. 17 Prozent der Kunden – also jeder Fünfte, Sechste – nutzen den Drive-in-Schalter. Ob das nun viel oder wenig ist, dazu fehlen statistische Vergleichswerte. Die Maudacher Straße hat für uns aber ohnehin eine sehr große Bedeutung. Dort entstand etwa 25 Jahre nach der Firmengründung in Mundenheim die erste Zweigstelle der Bäckerei Görtz. Das war mein Eintritt ins Unternehmen. Planen Sie weitere Drive-in-Schalter? Man braucht dazu eine besondere Grundstücksgröße und eine gewisse Anfahrbarkeit. Wenn wir die gleiche Chance wie in der Gartenstadt noch einmal bekommen, ja, dann würden wir einen zweiten Drive-in bauen. Sie expandieren seit Jahren und betreiben inzwischen fast 170 Filialen in drei Bundesländern. Wann ist die Grenze des Wachstums erreicht? Schwer zu sagen. Als ich Ende der 1980er-Jahre in den Beruf eingestiegen bin, hat sich der deutsche Handel sehr stark verändert. Früher gab es in jeder Straße ein Milchgeschäft, eine Bäckerei, eine Metzgerei oder ein Obst- und Gemüsegeschäft. Das war toll, das hatte sich nach dem Krieg in der Aufbauphase so entwickelt. Dann expandierte der Lebensmittelhandel. Die erste Lidl-Filiale der Welt wurde 1966 in Mundenheim eröffnet. Seither hat sich die Branche dramatisch gewandelt – und der Wettbewerb. Inwiefern? Früher standen in Mundenheim nur die Bäckereien Görtz und Dillenburg im direkten Wettbewerb. Heute sind wir im Wettbewerb mit Rewe, Lidl, Aldi, Globus, Edeka und Co. – im Verhältnis zu diesen Firmen sind wir kaum gewachsen. Und die Kraft, die in diesen Unternehmen steckt, ist gigantisch. Unsere Aufgabe als Bäckerei Görtz ist es, eine optimale Struktur zu finden, mit der wir ansatzweise auf Augenhöhe mit diesen Konkurrenten bestehen können. Warum so bescheiden? Das gelingt Ihnen doch seit Jahren. Vielleicht ein bisschen. Aber es ist auch klar: Wenn es um Ressourcen, Wissen und Technik geht, dann sind uns Edeka, Aldi oder Rewe weit überlegen. Die Frage ist: Wie groß ist der Abstand? Um diesen möglichst klein zu halten, brauchen wir auf jeden Fall ein eigenes Marketing, IT-Fachleute und Spezialisten in der Produktion. Sonst bestehen wir in diesem harten Wettbewerb nicht. Um uns zu behaupten, müssen wir uns ins Zeug legen. Glauben Sie mir: Wir kämpfen jeden Tag für unsere Zukunft. In der Praxis heißt das, und so ist auch die Wahrnehmung vieler Menschen: Wenn sich in der Region irgendwo eine Lücke auftut, dann schließt sie Görtz. Aus deren Sicht sind Sie schon eine große Hausnummer auf dem Markt. Wir sind eine große Bäckerei, da bin ich bei Ihnen. Die Frage ist nur, und die stellen sich auch andere Betriebe im Umfeld: Wie groß müssen wir sein, um überleben zu können? Und wie groß wäre das? 200 oder noch mehr Filialen? Das kann man nicht auf eine Zahl reduzieren. Momentan sind wir überlebensfähig. Aber wir können uns nicht ausruhen. Wir konkurrieren gegen Global Player. Dass etwa die Firma Benckiser, hinter der die Ludwigshafener Familie Reimann steht, den größten Kaffeeanbieter, die größte Kaffeehauskette Amerikas und eine der größten Bäckereien der Welt aufgekauft hat und das Paket an die Börse bringt, um in diesem Markt groß einzusteigen, zeigt die Dimensionen. Da wurden Milliarden bezahlt. Dahinter stehen bärenstarke Unternehmen. Dagegen sind alle Betriebe in der Region gemeinsam ganz kleine Lichter. Wir müssen uns hier im regionalen Markt behaupten. Gutes Stichwort: Die Bäckerei Theurer ist übernommen worden. Beobachten Sie das vor allem als Konkurrenz? Natürlich haben wir auch hier in Ludwigshafen einen Wettbewerb. Aber wir freuen uns unheimlich, dass ein lokales Unternehmen wie Theurer hier am Markt erhalten bleibt. Das ist wichtig. Die meisten Betriebe haben hier ja nicht zugemacht, weil es einen Görtz, einen Grimminger oder einen Schall gibt. Sondern? Die meisten haben geschlossen, weil es in dem jeweiligen Betrieb keinen Nachfolger gab. Wie steht’s bei Ihnen mit dem Nachwuchs in der Backstube? Wir haben aktuell 59 Auszubildende im Betrieb und investieren viel in diese jungen Leute. Das zahlt sich aus. Wir stellen jedes Jahr Landessieger in allen Bereichen. Was die geografische Ausbreitung angeht: Stoßen Sie da an Grenzen? Wir liegen an der Schnittstelle von drei Bundesländern und haben uns der 60-Kilometer-Grenze verschrieben, weil wir glauben, dass man frische Backware in diesem Radius prinzipiell vertreiben kann. Es gibt viele Kollegen, die weit über diesen Radius hinaus unterwegs sind. Dieses Ziel verfolgen wir nicht, weil wir ein regionales Unternehmen sind und auch bleiben wollen. Wir backen jede Nacht Produkte für den nächsten Tag. Das schränkt die räumliche Ausbreitung ein, aber es steckt auch eine Philosophie dahinter, denn wir sind hier tief verwurzelt. Was macht ein gutes Brot aus? Die Zutaten und die Zeit. Mit welcher Backware würden Sie Ihre Heimatstadt vergleichen? Sie ist erst mal ein tolles Produkt. Ich bin Ludwigshafener aus Fleisch und Blut und möchte auch nirgendwo anders hin. Ich bin ein Fan dieser Stadt. Ich auch. Aber Sie sind als interessierter Beobachter nicht mit allem einverstanden, was hier so vor sich geht, stimmt’s? Ich glaube, Ludwigshafen fehlt ein eine gute Vermarktung. Aber worauf wollen Sie hinaus? Sie haben vor Kurzem den Vorschlag gemacht, dass sich Bürger und Unternehmen zusammenschließen sollten, um eine Firma zu gründen. Diese sollte die Gestaltung des Berliner Platzes nach dem Hin und Her bei den „Metropol“-Hochhausplänen selbst in die Hand nehmen. Was steckt dahinter? Mir fehlt hier eine Vision, wie man sich Ludwigshafen und die Innenstadt in 20 Jahren vorstellt. Sehen Sie: In Gemeinden der Umgebung gibt es Versuche, zentrale Stellen wie den Berliner Platz zu erwerben, um die Gestaltungshoheit zu erlangen. Das ist ganz wichtig. Wenn so ein Gelände in öffentlichem Eigentum ist, dann hat die Bürgerschaft die Möglichkeit, ihn zu gestalten und auch zu verändern. Ist der Platz in Fremdbesitz, dann ist das nur sehr eingeschränkt möglich. Das ist der erste Punkt. Und der zweite? Wenn so ein Platz jemandem vor Ort gehört, dann kehrt er auch seine Straße. Und wenn das Haus nicht schön aussieht, dann streicht er es. So war das zumindest früher. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun, mit sozialer Kontrolle und mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit. Darauf müsste man hier mehr setzen und daraus ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickeln. Wenn die Stadt das nicht selbst leisten kann, weil ihr das Geld fehlt, dann gäbe es in Ludwigshafen genügend Menschen, die bei einem gemeinsamen Projekt mithelfen würden. Die Bäckerei Görtz würde da auch ihren Beitrag leisten. Wie könnte der aussehen? Man könnte einen Fonds bilden, in den fünf, zehn oder 20 Unternehmen aus Ludwigshafen einzahlen. Der Berliner Platz ist in Privathand, der Einfluss begrenzt. Was würden Sie aus dem Berliner Platz machen, wenn Sie das entscheiden dürften? Ein Areal, auf dem sich so viele Menschen treffen, ist prädestiniert für einen Handelsplatz. So ein Platz braucht quirliges Leben. Eine Markthalle, das wäre ein Traum. Im „Metropol“ ist Görtz kein Thema. Dafür hat Konkurrent Schall den Zuschlag bekommen. Warum? Es gab Kontakte. Aber wir sind nicht weiter gekommen. Görtz hat einen hohen Anspruch. Die Frage ist ja, ob aus dem Projekt überhaupt etwas wird. Ich kann das nicht sagen. Und wie sieht’s im Rathaus-Center aus? Das wird Ende 2021 geschlossen. Da müssen Sie raus. Handel bedeutet Wandel. So ist das. Wir als Bäckerei Görtz sind ständig in Bewegung und werden zu gegebener Zeit darauf reagieren. Inwiefern betrifft die Hochstraßensanierung Ihr Unternehmen? Die Waren müssen ja schnell raus in die Filialen, Staus sind da Gift. Das wird alle Betriebe tangieren. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir das schaffen. Die Stadtgesellschaft hat schon Schlimmeres hinbekommen. Nämlich? Ludwigshafen wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut. Da waren die Brücken auch kaputt. Früher habe ich im Spaß immer gesagt, man müsste die Brücken nach Mannheim sperren, damit nicht alle zum Einkaufen rüberfahren. Insofern ist das vielleicht auch eine Chance. Wie gehen Sie mit dem Coffee-to-go-Thema um? Ich finde das ein bisschen witzig, wenn ich ganz ehrlich bin. Warum? Ich bin jemand, der den ganzen Müll aufsammelt, wenn er zum Betrieb kommt. Wir halten auch die öffentlichen Flächen sauber. Da ist der Coffee-to-go-Becher kaum ein Thema. Was ich damit sagen will: Es gibt heute gigantische Mengen an Verpackungen, angefangen von Büchern bis fast zu jedem Artikel im Supermarkt. Insofern finde ich es etwas albern, diese Problematik auf den Kaffeebecher herunterzubrechen. Bei Görtz werden 70 Prozent des Kaffees aus der Tasse getrunken. Also geht es um 30 Prozent Becher. In anderen Branchen geht es um 100 Prozent Verpackung. Wir leben im Luxus und haben von allem zu viel. Momentan lese ich nur über den Kaffeebecher, als ob das unser Hauptproblem wäre. Er ist zum Symbol für Umweltschutz im Alltag geworden. Sicher. Und wir wollen den Anteil auch weiter verringern. Wir haben ihn aber erst gar nicht so groß werden lassen. Deshalb bauen wir Cafés, damit Menschen sich reinsetzen. Und Ihre 169. Filiale eröffnet … … in Forst bei Bruchsal. Dort bauen wir eine „Brotzeit“, die bis Mai fertig wird.

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