Rheinpfalz Europäische Handys, afrikanischer Müll

Zu Dreharbeiten in Mannheim (von links): Christiane Paul, Devrim Lingnau, Eugene Boateng und Regisseur York-Fabian Raabe.
Zu Dreharbeiten in Mannheim (von links): Christiane Paul, Devrim Lingnau, Eugene Boateng und Regisseur York-Fabian Raabe.

«Mannheim.» „Borga“ ist in Ghana der Slangausdruck für einen Menschen, der es (vermeintlich) geschafft hat und im Ausland einen wohlhabenden Lebensstil pflegt. Und es ist der Titel eines Spielfilms mit Eugene Boateng und Christiane Paul in den Hauptrollen, der in dieser Woche in Mannheim gedreht wird. Er erzählt von Familie, Liebe und Heimat. Und von europäischem Elektroschrott auf afrikanischen Müllkippen.

Das Sternerestaurant „Marly“ am Mannheimer Rheinufer gegenüber der Rhein-Galerie ist gestern Mittag Schauplatz einer Szene gewesen. Um Essen ging es dabei allerdings nicht. Emma (Devrim Lingnau) erzählte bei einem kurzen Treffen ihrer Mutter Lina (Christiane Paul), dass sie demnächst zum Studium in die USA gehen werde. Für ihre Mutter, die Emma alleine großgezogen hat, ist das offensichtlich ein schwerer Schlag. Mit versteinertem Gesichtsausdruck sitzt sie neben Kojo (Eugene Boateng) im Lokal und nimmt nur noch ein paar Häppchen zu sich. Für York-Fabian Raabe ist die Familie unter all den Themen, die der Film behandelt, das wichtigste. „Alle Figuren beschäftigt das Ablösen von der Kernfamilie und das Aufbauen ihrer eigenen Familie“, sagt der Drehbuchautor und Regisseur. „Am meisten aber Kojo.“ Kojo ist zusammen mit seinem Bruder auf der Elektroschrott-Müllhalde Agbogbloshi aufgewachsen und hat dort seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln wertvoller Metalle aus westlichen elektronischen Geräten verdient. Nach vielen Jahren beschließt er, ein „Borga“ zu werden und sich auf die beschwerliche Reise nach Deutschland zu machen. Wo er, wie leicht zu erahnen ist, nicht mit offenen Armen empfangen wird. Er landet dort selbst in der Recycling-Branche und baut ein Bild von sich als erfolgreichem Geschäftsmann auf. Gleichzeitig kommt er der Ärztin Lina näher. Gespielt wird die Ärztin von Christiane Paul, die selbst nicht nur spätestens seit „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) als Schauspielerin sehr erfolgreich, sondern auch promovierte Medizinerin ist. Beim Schreiben der Geschichte hat Raabe allerdings an eine andere Frau gedacht: seine Mutter, die sich als junge Frau in der Männerdomäne Medizin gegen Widerstände durchsetzen musste. „Ich wollte eine Frau zeigen, die selbst ihren Lebensunterhalt verdient“, sagt der 39-Jährige, der mit einem früheren Kurzfilm den Max-Ophüls-Preis gewonnen hat und mit „Borga“ sein Spielfilmdebüt gibt. Dass er einen Flüchtlingsfilm dreht, glaubt er nicht. Ihm gehe es darum, Fragen von Heimat und Abstammung zu verhandeln, Klischees zu hinterfragen, Ambivalenzen aufzuzeigen. So sorgt der Elektroschrott aus den Mobiltelefonen und Tablets reicher Europäer (und reicher Afrikaner) nicht nur dafür, dass Menschen in Ghana unter schrecklichen, die Gesundheit schwer gefährdenden Verhältnissen leben. Er ist gleichzeitig die Lebensgrundlage vieler Menschen in einer der ärmsten Regionen des Landes. Dort hat das „Borga“-Filmteam im Juli und August auch gedreht. In Mannheim sind die Schauplätze der Hafen – Kojo kommt dort mit dem Schiff an –, die Innenstadt und die SAP-Arena, in der sich die beiden Hauptfiguren ein Handballspiel angesehen haben. Für Produzentin Elaine Niessner ist die Stadt Mannheim mit ihrem Industriecharme ein toller Ort zum Drehen. „Die Motive sind noch nicht so verbraucht wie anderswo“, sagt sie. „Und wir wurden sehr freundlich empfangen. In Berlin sind die Leute genervt, wenn ihre Straße schon wieder für einen Filmdreh gesperrt wird.“ Nebenbei freute sich Schauspielerin Devrim Lingnau darüber, in ihrer Heimatstadt arbeiten zu können. „Borga“ ist eine Koproduktion mit dem SWR und mit Arte. Beide Sender planen den Film auszustrahlen – aber erst 2020 oder 2021, nachdem er im Kino zu sehen gewesen ist und auf diversen Festivals. Vielleicht ja auch auf dem nur einen Steinwurf entfernt stattfindenden Festival des deutschen Films in Ludwigshafen.

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