Ludwigshafen Dokumentation zerstörter Illusionen

Wolf Vostells „Atombombe“ von 1968.
Wolf Vostells »Atombombe« von 1968.

Das sagenumwobene Jahr 1968 liegt fünfzig Jahre zurück, aber das mediale Jubiläumsgetöse hält sich in Grenzen. Eine aus den Graphik-Beständen der Sammlung Beck gespeiste Kabinett-Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum passt ins Bild. „Make Love Not War“ ist ihr Titel, ein zu Tode zitierter Spruch, der aus der Hippie-Bewegung kommt.

Ja, Kunst ist schön und tut gut. Nur sollte man wissen, dass die längst im Rentenalter angekommenen Achtundsechziger – abgesehen von dem dank Teufel, Langhans und Kunzelmann recht erfolgreich praktizierten Happening-Theater – nicht sehr kunstaffin waren. Eher im Gegenteil. Weg mit dem bürgerlichen Plunder! Verlasst die Kunsthochschulen! Geht auf die Straße und macht Politik! Heute weiß man, wie das ausging. Die Künstler haben das gemacht, was sie konnten, nämlich Kunst. Und der große Aufbruch landete bei vielen zerstörten Illusionen. Eine auch nur vorzeigbare Kunst der 68er gibt es nicht. Minimal Art, Konzeptkunst, Fluxus, Performance und Happening waren schon unterwegs. Von den USA aus hatte die Pop Art ein neues Kapitel in der Kunstgeschichte aufgeschlagen. Wolf Vostell war schon vor dem Jahr 1968 politisiert, bei Klaus Staeck war es nicht anders. Zu Recht nimmt die Ausstellung Vostells berühmten Lippenstiftbomber als Blickfang, nicht weit entfernt hängt sein auf das bekannte Pressefoto von der Erschießung eines Vietcong zurückgehender Siebdruck. Klaus Staecks zynischer Text „Vietnamesische Vegetation nach der Berührung mit US-Kultur“ über einer von Agent Orange zerstörten Landschaft verblüfft durch seinen lehrbuchhaften Charakter. Solche Arbeiten sind kein gut gemeintes Agitprop, sondern einfach nur gut. So ist auch Dieter Asmus` sich vor goldgelbem Tapetenmuster sonnender weiblicher Rückenakt vor allem ein eindrucksvolles Blatt, 1968 einmal hin oder her. Ob Vietnam-Krieg, atomare Aufrüstung, Muff von tausend Jahren, die sogenannte sexuelle Befreiung der Frau, die nicht enden wollenden Folgen der NS-Vergangenheit und das Aufblühen der APO: Natürlich geht das an den Künstlern nicht einfach so vorbei. Der Fotorealist Franz Gertsch arbeitet noch in Schwarzweiß, Jochen Gerz macht plakativ schreiende Schriftbilder, Werner Berges hat mit seinen weichgespülten Frauen-Darstellungen Erfolg und in Frankfurt findet Thomas Bayrle sein auf massenhafter Wiederholung beruhendes ästhetisches Lebensthema. Unser aller Großkünstler Gerhard Richter erfindet mit anderen den „Kapitalistischen Realismus“ und verweist mit Bildern und Graphiken von Kampfflugzeugen auf die Zerstörung seiner Heimatstadt Dresden und den (verlorenen) Kampf um die deutsche Aufrüstung. Richter klagt eher verhalten an, Vostell mit abgefeimter Schläue, wenn er ein Pressefoto vom Einmarsch der Roten Armee in Prag und die Darstellung eines lesbischen Liebespaares mit dem Satz „...in Dresden erreichte die Temperatur des Asphalts über 1000 Grad...“ überschreibt und damit auf einem Blatt Leben und Sterben in einen prekären Zusammenhang bringt. Erstklassig das Blatt, das ein Doppelporträt von Gretchen und Rudi Dutschke (nebst beiderseitigen Aussagen zum ganz normalen Familienleben) mit einer Tüte Dr.Oetkers roter Grütze collagiert: Der Revolutionär als Spießer? Es wäre eine schöne Pointe in dieser pointenreich zusammengestellten und mit reichlich fotografischem Material angereicherten Ausstellung, die aus dem doch begrenzten Repertoire der Sammlung Beck sichtlich das Beste herausgezogen hat. Einschließlich der nicht unerwarteten Erkenntnis, dass der Sammler durchaus mit „männlichem Blick“ gesammelt hat. Termin Bis 18. November im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum, Berliner Straße 23. Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa und So und feiertags 10-18 Uhr.

Wolf Vostell Anklage des Kriegs mit dem Siebdruck „Vietnam (Saigon)“ aus dem Jahr 1969.
Wolf Vostell Anklage des Kriegs mit dem Siebdruck »Vietnam (Saigon)« aus dem Jahr 1969.
Kritik mit abgefeimter Schläue: Wolf Vostells „Rudi und Gretchen Dutschke“ aus dem Jahr 1969.
Kritik mit abgefeimter Schläue: Wolf Vostells »Rudi und Gretchen Dutschke« aus dem Jahr 1969.
Werner Berges: „Wasserwerfer“ (Ausschnitt).
Werner Berges: »Wasserwerfer« (Ausschnitt).
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