Ludwigshafen Die Zukunft des Buchgeschäfts

Michelle Obamas Memoiren sind gefragter als die anderer Ex-First Ladies der USA.
Michelle Obamas Memoiren sind gefragter als die anderer Ex-First Ladies der USA.

Nele Neuhaus’ neuer Thriller „Muttertag“ und die Memoiren Michelle Obamas waren im November in der Rhein-Neckar-Region sehr gefragt. Selbstverständlich finden die Erinnerungen der Frau an der Seite des ersten farbigen Präsidenten der Vereinigten Staaten auch deutschlandweit viele Käufer. „Becoming“ stand im November auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Auf der „Focus“-Sachbuchliste war es sogar gleich zweimal vertreten: auf Platz eins mit der deutschen Übersetzung und auf Platz fünf mit der amerikanischen Originalausgabe.

Schon in der ersten Woche nach dem weltweit gleichzeitigen Erscheinen am 13. November wurden von „Becoming“ 1,4 Millionen Exemplare verkauft. In den USA ist es jetzt schon das am häufigsten verkaufte Buch des Jahres. Über den Großen Teich heißt es also nicht „America first“, sondern, wie es sich für einen Kavalier gehört, Lady’s first, seitdem die Erinnerungen der früheren First Lady erschienen sind. Die Nachfrage nach Michelle Obamas Memoiren übertrifft jedenfalls die nach den Erinnerungen anderer Präsidentengattinnen wie Laura Bush, sogar noch die Hillary Clintons bei weitem. Besonders schätzen Leser und auch Kritiker offenbar Michelle Obamas Ehrlichkeit, wie sie für eine Autobiographie eigentlich selbstverständlich sein sollte. Nur hindert Selbstbetrug den Autor in seinen Selbstbetrachtungen und Erinnerungen oft an schonungsloser Offenheit. Die Afroamerikanerin schildert ihre Kindheit in der South Side von Chicago, einer nicht auf der Sonnenseite der Stadt gelegenen Gegend, erzählt von ihren Jahren als Leiterin einer Rechtsanwaltskanzlei, in der sie ihren späteren Mann Barack Obama kennenlernte. Sie schildert Paartherapien und ihren Kinderwunsch, der erst nach künstlicher Befruchtung mit den Töchtern Malia Ann und Natasha in Erfüllung ging. Sie macht auch keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen den amtierenden Präsidenten Donald Trump, dem sie es nicht verzeihen kann, dass er mit einer Debatte über die Herkunft ihres Mannes dessen Sicherheit in Gefahr gebracht hat. Entsprechend kühl fiel dann auch die Begegnung der Obamas mit Trump auf der Trauerfeier für den verstorbenen Ex-Präsidenten George H. W. Bush aus. Um mit ihrem Mann daran teilzunehmen, hatte Michelle Obama übrigens eine Lesereise nach Paris und Berlin abgesagt, die sie im nächsten Jahr nachholen will. Wohl damit Michelle Obamas Buch rechtzeitig am 13. November auf den Markt kommen kann, hat der Goldmann Verlag nicht weniger als sechs Übersetzer mit „Becoming“ beauftragt. Um einen deutschen Titel hat er sich freilich nicht bemüht. Gerade bei einem so prägnanten, im Deutschen nicht in ein Wort zu fassenden Titel wie „Becoming“ (etwa „Im Werden“) wäre ein sinngemäßer deutscher und zugkräftiger Titel angebracht gewesen. Überhaupt reißt es auf dem Buchmarkt immer mehr ein, englische Originaltitel einfach zu übernehmen. Mit dieser Zeit und Geld sparenden Unsitte ziehen die Verlage mit den Fernsehsendern gleich, die es inzwischen auch kaum noch für nötig halten, amerikanischen Filmen deutsche Titel zu geben, und die in den offenbar unter Zeitdruck entstandenen Synchronisationen viele Wörter der fremden Sprache einfach stehen lassen. Diese fortschreitende Amerikanisierung weist auf einen Umbruch in eine neue Zeit hin. Das gilt auch für den Buchhandel. Den Herausforderungen des Online-Handels – fast ein Viertel der Einkäufer bestellt seine Weihnachtsgeschenke in Online-Warenhäusern wie Amazon – begegnet Thalia nun mit einem neuen Ladenkonzept und dem Schlachtruf „Welt, bleib wach“. Es geht nicht mehr nur darum, Buchkäufer in die zunehmend verslumten Innenstädte zu locken, sondern die Leute überhaupt noch zum Lesen zu animieren. Die nahezu unschlagbare Konkurrenz des Smartphones lässt viele überhaupt nicht mehr zu Druckerzeugnissen greifen, seien es nun Bücher oder Zeitungen. Die großen stationären Buchhändler benutzen deshalb sogenannte Non-Books, also CDs, DVDs und andere elektronische Medien, als Lockmittel und Leimruten, oder sie bieten Waren feil, die mit Büchern nicht mehr das geringste zu tun haben, wie etwa Spielzeug. Voran geht Hugendubel in München, das das Buchgeschäft endgültig in einen großen Gemischtwarenladen und kleinen Jahrmarkt verwandelt (wir berichteten am 22. November). „Der Mensch braucht Räume des sozialen Austausches und des Wohlfühlens“, sagt in diesem Sinne Ingo Kretzschmar, Thalia Vertriebs-Geschäftsführer. Seit November testet die Buchhandelskette so in drei Filialen – in Leipzig, Düsseldorf und Hagen – ein neues Konzept. Im nächsten Jahr will Thalia dann in Wien seinen ersten Ableger in Österreich im neuen „Look“ eröffnen. Für die Thalia-Filialen in Ludwigshafen und Mannheim sind Umbauten vorerst nicht vorgesehen, allein deshalb nicht, weil sie den Vorstellungen der Leitung jetzt schon recht nahe kommen. Anke Klos von der Thalia-Filiale in der Ludwigshafener Rheingalerie empfiehlt Matt Haigs Roman „Wie man die Zeit anhält“. Der englische Autor erzählt darin aus dem Leben eines gewissen Tom Hazard. Das klingt im ersten Moment eher unspektakulär, aber Tom ist alt, sehr alt. „So alt wie ein Renaissancegemälde“, wie er selbst sagt. Matt Haig macht den Leser zum Begleiter auf der über 400 Jahre dauernden Lebensreise. Einfühlsam geschrieben, vor wunderschönen Kulissen in London und New York, auf Tahiti und in Australien, sei dies ein Buch, das lange nachklinge, das einen zufrieden, aber auch etwas nachdenklich zurücklasse, findet Anke Klos. „Ein wunderbarer Titel, um von der Vergangenheit zu schwärmen und auf eine großartige Zukunft zu hoffen“, meint die Buchhändlerin.

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