Ludwigshafen „Die Stadt selbst begrünen, statt zu motzen“

Wo einst ein „Unplatz“ vor der Staatsphilharmonie war …
Wo einst ein »Unplatz« vor der Staatsphilharmonie war …
Immer mehr zugepflasterte Plätze, sämtliche Lücken werden zugebaut. Stadtverdichtung nennt man das. Wird Ludwigshafen trister? Zechlin:

So eine pessimistische Haltung gefällt mir nicht. Ja, es gibt wenig Parks, und das Grün wird nicht genug gepflegt. Aber Bauvorhaben per se sind nicht schlecht, sondern gestalten eine Stadt ja auch. Es muss nur nicht jede letzte Brachfläche überbaut werden. Es sollten auch welche als Park erhalten werden. Wenn man am Grün spart, dann ist das am falschen Ende gespart, denn man braucht zufriedene Bürger, die sich mit ihrer Stadt identifizieren. Wofür sollten sie sich sonst engagieren? Der Verwaltungsbegriff „Brachfläche“ ist etwas einseitig, denn Bürger nehmen solche Stellen schlicht als Wiesen und willkommenen Freiraum wahr. Zechlin: In der Stadt bleibt wenig Raum für freie Natur, alles ist überplant. Deshalb geht man davon aus, dass die Flächen entweder genutzt werden – oder als Brachflächen gelten. Kiefer: Eine solche brach liegende Fläche waren übrigens die Prinzessinnengärten in Berlin, die von Anwohnern gepachtet und mit Gemüse in gelben Kisten begärtnert werden. Das war unser Vorbild für den Hack-Garten. Dort haben wir uns die Idee abgeguckt, wie man eine versiegelte Fläche wie den Hans-Klüber-Platz mit mobilen Beeten begrünen kann. Es war ja ursprünglich als zeitlich begrenztes Projekt gedacht, aber die Gärtner wollten einfach nicht mehr aufhören. Private Vorgärten verwandeln sich unterdessen in Steinwüsten. Sind wir heute weniger bereit, uns auf das Unvorhergesehene und wild Wuchernde einzulassen? Kiefer: Den Garten streng wie ein Wohnzimmer zu gestalten, in dem nichts wächst, in dem man auch nichts pflegen muss, das ist ökologisch wertlos und für unsere Hack-Gärtner schwer nachvollziehbar. Das ist eine völlig andere Denkrichtung. Zechlin: Die es allerdings schon immer gab: Einerseits der Garten in Perfektion, in dem man genau kontrolliert, wie viele Äpfel und Tomaten man aus ihm herausbekommt. Andererseits das Urban Gardening mit seiner alternativen Lebensführung und dem Gedanken: Was ich esse, pflanze ich selbst an und ernte es, ohne auf den größten Ertrag abzuzielen. Was im Hack-Garten angebaut wird, belächeln manche Kleingärtner als chaotisch und unprofessionell. Kleingärten können dagegen für überkultiviert oder sogar ökologisch schädlich gehalten werden. Ich betone daher immer: Beim Hack-Garten geht es nicht rein ums Gärtnern, sondern um ökologische Nachhaltigkeit und darum, etwas gemeinschaftlich zu entwickeln. Aber vielleicht ist der Unterschied zu den Kleingärtnern doch nicht so groß: Schrebergärten und Gartenstädte sind ursprünglich auch entstanden, um Arbeitern mehr Naturnähe in der Stadt zu ermöglichen. Zechlin: Stimmt, der Ursprungsgedanke ist ähnlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte aber die Mobilität mit dem Auto in den Vordergrund. Gerade hier in der Region ist mir aufgefallen, dass man im Grünen wohnt und in die Stadt pendelt. Manche sind mit ihrem Parkplatz regelrecht verheiratet. Es bedeutet aber auch Lebensqualität, wenn man ein paar Schritte weiter laufen muss und dafür auf einem schön gestalteten Weg im Grünen spaziert. In Ludwigshafen ist man das bisher nicht gewohnt. Man wird umdenken müssen, aber das braucht Zeit. Ist die „Urban Gardening“-Bewegung deshalb die Chance, graue öffentliche Räume umzudenken? Kiefer: Ja, zum Beispiel mit „Parking Days“. Da werfen Leute Münzen in Parkuhren, stellen auf den Plätzen aber statt Autos Sofas ab und machen es sich gemeinsam darauf gemütlich. Zechlin: Die Menschen fasziniert, dass sie einen Lebenraum gestalten und sich zu eigen machen können. Statt sich über Dreck zu ärgern und darüber zu motzen, dass die städtischen Blumenkübel ausdörren, begrünen sie sie selbst. Aber noch mehr geht es bei dem Projekt darum, mit anderen Leuten zusammenkommen. Die Gärtner haben dabei kreative Ideen: Jeans als Blumentopf, Bohneniglus und Windspiele aus Fundstücken. Inwiefern ist der Museumsgarten Kunst? Kiefer: Ihre Beete betrachten die Leute nicht als Kunstwerke. Aber für uns ist das ganze Projekt eine „soziale Plastik“ im Sinne von Joseph Beuys … Zechlin: … ein partizipatives Kunstprojekt, das nicht von einem einzelnen Autoren ins Leben gerufen wird. Kiefer: Die Hack-Gärtner empfinden es außerdem als Bereicherung, den Kunstkontext mitzubekommen und unsere Ausstellungen zu besuchen. Dabei eröffnen sie uns wiederum neue Blickwinkel. Durch eine sehbehinderte Frau sind wir darauf gekommen, unser Museum behindertengerechter zu gestalten. So viele unterschiedliche „Gärtchen“ in Kisten und Paletten. Führt das nicht doch zu Konflikten? Zechlin: Ein Denken nach dem Motto „Das ist meins“ und „Mein Garten ist aber schöner“ – das führt schon zu Spannungen. Es gibt auch Leute, die das gemeinschaftliche Gärtnern falsch verstehen und das Gemüse der anderen mit abernten. (Lacht.) Kiefer: Und nicht jeder freut sich, wenn eine Gurkenpflanze plötzlich bei ihm sprießt, die jemand übrig hatte und einfach beim Nachbarn eingesetzt hat. Zechlin: Wir haben aber noch keine Ordnungspolizei gebraucht. Die leitende Hand des Museums reicht bisher. Freiheit und Offenheit müssen eben mit jeder Saison neu erkämpft werden. Zur Person —René Zechlin leitet seit Mai 2014 das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen. Zuvor war er Direktor des Kunstvereins in Hannover, Ausstellungskurator an der Lewis Glucksman Gallery im irischen Cork und Kurator beim Frankfurter Kunstverein, wo er volontierte. —Theresia Kiefer ist Kunsthistorikerin und seit 2002 als Kuratorin im Wilhelm-Hack-Museum tätig, 2011 initiierte sie unter dem Motto „Ein Garten für alle!“ den „Hack-MuseumsgARTen“.

Ist das noch ein Beet oder schon ein Kunstwerk?
Ist das noch ein Beet oder schon ein Kunstwerk?
Nicht allein ums Gärtnern geht es ihnen, sondern auch darum, gemeinschaftlich etwas zu schaffen: Theresia Kiefer und René Zechli
Nicht allein ums Gärtnern geht es ihnen, sondern auch darum, gemeinschaftlich etwas zu schaffen: Theresia Kiefer und René Zechlin.
…, ist jetzt eine Oase.
…, ist jetzt eine Oase.
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